Tour 54: Vom Schiffenberg über den Lutherberg ins Europaviertel und zur Hohen Warte
Diese knapp 23 Kilometer lange Rundtour hat es wahrlich in sich! Macht man doch bei spektakulären Ausblicken eine Reise ins Mittelalter und kommt dabei bis nach Sibirien!
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Zuerst geht es durch den Wald rauf zum Kloster Schiffenberg. Im Wald könnte man dem Hirtenbrunnen eine Besuch abstatten, denn dort, wo heute der Hirtenbrunnen im Schiffenberger Wald ist, da stand einmal ein Sühnekreuz aus Stein. Doch was sollte hier gesühnt werden? Ein Mord! Der Engelbert war ein Hirterbub… und ein Postillon d’amour. Er transportierte mit Freuden delikate Liebesbotschaften vom Frauenkloster Cella am Fuß des Berges zu den Augustiner-Mönchen auf dem Schiffenberg und retour. Es kam, wie es kommen musste, der Hirtenjunge verliebte sich bei seinen häufigen Besuchen in eine Nonne… und wurde kurze Zeit später an der Stelle des heutigen Brunnens tot aufgefunden. War er einem liebestollen Mönch in die Quere gekommen? Oder einer anderen Nonne? Wir wissen es nicht. Man errichtete zumindest ein Sühnekreuz für ihn. Und der Platz trägt seine Berufsbezeichnung.
Das Kloster Schiffenberg
Das Kloster Schiffenberg ist eine ehemalige Klosteranlage auf dem Schiffenberg (281 Meter), dem Gießener Hausberg. Es war die Gräfin Clementia vom gegenüberliegenden Hügel Gleiberg, die um 1100 das Areal stiftete und einen Klosterbau darauf wünschte. Heute ist die romanische Pfeilerbasilika mit Querschiff das Herz der Anlage mit Restaurant, Mauer und Innenhof. Der achteckige Vierungsturm hat das älteste Dachwerk in Deutschland. Der Dachstuhl ist aus 1162, das Dach des Spitzhelms aus 1145. Neben der Klosteranlage wurden Siedlungsspuren aus der späten Bronzezeit um etwa 1000 vor Chr. entdeckt. Im 19. und 20. Jahrhundert war der Schiffenberg eines der wichtigsten Pauklokale der Gießener Studentenschaft. Schiffenberg ist Nummer 37 der „Gießener Spaziergänge“. Ein Schild informiert:
Augustiner-Chorherren-Stift und Deutschordens-Komturei. Der 280 m hohe Schiffenberg liegt 4 km südöstlich von Gießen. Bei Ausgrabungen der 1970er-Jahre fanden sich Keramikreste der Urnenfelderkultur (1000 v. Chr.), Hinweise auf eine spätbronzezeitliche Siedlung. Der Name leitet sich von Skephenburc = Schöffenburg ab, ein Verwaltungsbegriff aus der karolingischen Zeit (um 800 n. Chr.). Die Geschichte des »Klosters Schiffenberg« begann 1103/05 mit einer Stiftung der Clementia von Gleiberg an das Erzbistum Trier zur Errichtung eines Augustiner-Chorherren-Stifts. Die Weihe der noch unvollendeten Kirche erfolgte 1129. Das Chorfrauen-Stift »Cella« am Südhang des Schiffenbergs ist erstmals 1239 erwähnt, es existierte bis Mitte des 15. Jahrhunderts. Die Gebäude wurden zum Abbruch freigegeben. Anhaltende Querelen und Misswirtschaft hatten 1323 zur Aufhebung des Augustiner-Chorherren-Stifts und zur Übergabe des Schiffenbergs an den Deutschen Orden geführt. Ab 1333 war ein eigener Komtur (= Verwalter) eingesetzt. Die diversen Amtsträger initiierten zahlreiche Um— und Neubauten. Bis heute markant ist der Abriss des südlichen Seitenschiffs der Basilika um 1740 unter Damian von Schönborn, der hier eine Orangerie einrichten ließ. Nach der Säkularisierung 1809 wurde der Schiffenberg Staatsdomäne. 1972 ging er in den Besitz der Stadt Gießen über, die ihn archäologisch untersuchen und umgestalten ließ. Beliebtes Ausflugsziel wurde der Schiffenberg schon bald nach der Säkularisierung, zumal hier eine Gastwirtschaft eingerichtet wurde.
Weitere Schilder auf der Anlage informieren:
Vorklösterliches Gebäude
Das in den Grundmauern restaurierte Gebäude stammt aus dem frühen Mittelalter. Es ist (ohne Anbau) 24 m lang und 9 m breit. Die Mauerstärke beträgt 0,96 m (3 karolingische Fuß). Es war demnach wahrscheinlich zweistöckig, wofür auch der mutmaßliche Ansatz einer nach oben führenden Treppe im Innern spricht. Der einmal unterteilte Bau hatte seinen Eingang in der Osthälfte der Südseite, wo einige Stufen von der Schwelle zum Fußbodenniveau hinunterführten. Dieses Niveau ist heute durch die Grasnarbe im Innern angedeutet. Die Funktion des Gebäudes ist nicht bekannt; es wurde teilweise über der fränkischen Wehrmauer errichtet.
Kalkbrennofen
Der ungewöhnlich große Kalkbrennöfen (7,80 m lang und 2,10 m bis 3,00 m breit) lag wegen der benötigten Zugluft am Nordhang. Er war aus Steinen errichtet, die mit Lehm verstrichen waren. Die Öffnung wies ebenfalls nach Norden. In ihm wurde Kalk gebrannt, den man zur Herstellung von Mörtel und zum Tünchen der Wände brauchte. Als der Brennofen in Betrieb war, wurde in seinem Innern über einem Holzgerüst ein (Holz-) Himmel errichtet. Darauf wurden einige Zentner Kalkstein geschichtet. Kalkstein findet man beispielsweise in Steinberg (Stadt Pohlheim) in 3 km Entfernung. Über eine Woche wurde im Brennofen ein Feuer unterhalten. Es „brannte” den Kalk, der dabei die Hälfte seines Gewichtes verlor. Der Kalk wurde gelöscht und zu Mörtel verarbeitet Neben den Kalkbrennöfen gab es auf dem Schiffenberg auch Eisenschmelzen.
Fränkische Toranlage
Im Zuge der fränkischen Wehrmauer befand sich an dieser Stelle eine Toranlage. Noch heute lässt sich der ehemalige Fahrweg außerhalb des Tores auf 300 m Länge verfolgen. Die Einfahrt führte durch einen Torturm von 6,50 m Breite und 7,00 m Länge. Die Breite der Durchfahrt betrug 2,50 m. Es war vermutlich das Haupttor der „Skephenburc“ aus dem späten 7. Jahrhundert. Der Torturm ist in die Burgmauer eingebunden. Die Nordmauer stößt an ihn an. Der genaue Verlauf der Ostmauer ist nicht festgestellt; sie muss in Richtung der Wehrgräben auf der Rodelwiese geführt haben.
Noch etwas bergige Klostergeschichte
Kurz vor 1200 hatte Gräfin Clementina von Gleiberg ein Problem. Ihr Mann, der streitbare Graf Konrad I. von Luxemburg, hatte sich als treuer Gefolgsmann seines Königs Heinrich IV. mit Papst Gregor VII., dem heiligen Satan und Zuchtrute Gottes, angelegt. Er entführte sogar den Erzbischof von Trier. Rom war nicht amused. Konrad und Heinrich wurden kirchengebannt. König Heinrich reiste nach Canossa, Graf Konrad musste sogar bis nach Israel. Pilgern und sühnen. Die heiligen Stätten durfte er noch schauen, doch auf der Rückreise ereilte ihn 1086 der Tod. Witwe Clementia schenkte 40 Jahre nach des Mannes Tod der Kirche in Form des Erzbistums Trier den Schiffenberg, damit man dort ein Kloster errichte – politisches Kalkül oder zur späten Rettung der Seele des toten Mannes? Das Klosterleben lief nicht rund. Die Augustinermänner kriegten sich mit den Chorfrauen von Cella in die Haare und wollte die Probleme weltlich lösen: Vor einem Gericht in Gießen! 1323 wurde aufgelöst. Grund:
„Es ist jetzt durch Sündenschuld in einen so erbärmlichen Zustand herabgesunken ist, dass in diesem Kloster Gott nicht mehr geehrt, der Gottesdienst nicht mehr gehalten wird, und die Brüder, nachdem sie mit dem Habit auch die klösterliche Zucht abgeworfen, nun wie Vagabunden, unstet, ohne Oberen und fast unverbesserlich außerhalb des Klosters umherschweifen, nachdem sie sowohl die beweglichen, als auch unbeweglichen Güter, die Bücher und heiligen Gefäße und anderes kirchliches Gerät verkauft, zerstückelt, zerstreut, veräußert und zum größten Teil verzehrt haben. Ja, das Kloster selbst, das ehemals ein Haus Gottes und frommer Menschen war, ist durch den Feind der Religion, den Sämann des Unkrauts, ein Gegenstand des Ärgernisses und der Schmach für die Nachbarschaft geworden.“
Der Deutsche Orden war der Nutznießer. Napoleon löste dann das ganze Ding endgültig auf.
Das Kloster Schiffenberg ist eine ehemalige Klosteranlage auf dem Schiffenberg (281 Meter), dem Gießener Hausberg. Es war die Gräfin Clementia vom gegenüberliegenden Hügel Gleiberg, die um 1100 das Areal stiftete und einen Klosterbau darauf wünschte. Heute ist die romanische Pfeilerbasilika mit Querschiff das Herz der Anlage mit Restaurant, Mauer und Innenhof. Der achteckige Vierungsturm hat das älteste Dachwerk in Deutschland. Der Dachstuhl ist aus 1162, das Dach des Spitzhelms aus 1145. Neben der Klosteranlage wurden Siedlungsspuren aus der späten Bronzezeit um etwa 1000 vor Chr. entdeckt. Im 19. und 20. Jahrhundert war der Schiffenberg eines der wichtigsten Pauklokale der Gießener Studentenschaft. Schiffenberg ist Nummer 37 der „Gießener Spaziergänge“. Ein Schild informiert:
Augustiner-Chorherren-Stift und Deutschordens-Komturei. Der 280 m hohe Schiffenberg liegt 4 km südöstlich von Gießen. Bei Ausgrabungen der 1970er-Jahre fanden sich Keramikreste der Urnenfelderkultur (1000 v. Chr.), Hinweise auf eine spätbronzezeitliche Siedlung. Der Name leitet sich von Skephenburc = Schöffenburg ab, ein Verwaltungsbegriff aus der karolingischen Zeit (um 800 n. Chr.). Die Geschichte des »Klosters Schiffenberg« begann 1103/05 mit einer Stiftung der Clementia von Gleiberg an das Erzbistum Trier zur Errichtung eines Augustiner-Chorherren-Stifts. Die Weihe der noch unvollendeten Kirche erfolgte 1129. Das Chorfrauen-Stift »Cella« am Südhang des Schiffenbergs ist erstmals 1239 erwähnt, es existierte bis Mitte des 15. Jahrhunderts. Die Gebäude wurden zum Abbruch freigegeben. Anhaltende Querelen und Misswirtschaft hatten 1323 zur Aufhebung des Augustiner-Chorherren-Stifts und zur Übergabe des Schiffenbergs an den Deutschen Orden geführt. Ab 1333 war ein eigener Komtur (= Verwalter) eingesetzt. Die diversen Amtsträger initiierten zahlreiche Um— und Neubauten. Bis heute markant ist der Abriss des südlichen Seitenschiffs der Basilika um 1740 unter Damian von Schönborn, der hier eine Orangerie einrichten ließ. Nach der Säkularisierung 1809 wurde der Schiffenberg Staatsdomäne. 1972 ging er in den Besitz der Stadt Gießen über, die ihn archäologisch untersuchen und umgestalten ließ. Beliebtes Ausflugsziel wurde der Schiffenberg schon bald nach der Säkularisierung, zumal hier eine Gastwirtschaft eingerichtet wurde.
Weitere Schilder auf der Anlage informieren:
Vorklösterliches Gebäude
Das in den Grundmauern restaurierte Gebäude stammt aus dem frühen Mittelalter. Es ist (ohne Anbau) 24 m lang und 9 m breit. Die Mauerstärke beträgt 0,96 m (3 karolingische Fuß). Es war demnach wahrscheinlich zweistöckig, wofür auch der mutmaßliche Ansatz einer nach oben führenden Treppe im Innern spricht. Der einmal unterteilte Bau hatte seinen Eingang in der Osthälfte der Südseite, wo einige Stufen von der Schwelle zum Fußbodenniveau hinunterführten. Dieses Niveau ist heute durch die Grasnarbe im Innern angedeutet. Die Funktion des Gebäudes ist nicht bekannt; es wurde teilweise über der fränkischen Wehrmauer errichtet.
Kalkbrennofen
Der ungewöhnlich große Kalkbrennöfen (7,80 m lang und 2,10 m bis 3,00 m breit) lag wegen der benötigten Zugluft am Nordhang. Er war aus Steinen errichtet, die mit Lehm verstrichen waren. Die Öffnung wies ebenfalls nach Norden. In ihm wurde Kalk gebrannt, den man zur Herstellung von Mörtel und zum Tünchen der Wände brauchte. Als der Brennofen in Betrieb war, wurde in seinem Innern über einem Holzgerüst ein (Holz-) Himmel errichtet. Darauf wurden einige Zentner Kalkstein geschichtet. Kalkstein findet man beispielsweise in Steinberg (Stadt Pohlheim) in 3 km Entfernung. Über eine Woche wurde im Brennofen ein Feuer unterhalten. Es „brannte” den Kalk, der dabei die Hälfte seines Gewichtes verlor. Der Kalk wurde gelöscht und zu Mörtel verarbeitet Neben den Kalkbrennöfen gab es auf dem Schiffenberg auch Eisenschmelzen.
Fränkische Toranlage
Im Zuge der fränkischen Wehrmauer befand sich an dieser Stelle eine Toranlage. Noch heute lässt sich der ehemalige Fahrweg außerhalb des Tores auf 300 m Länge verfolgen. Die Einfahrt führte durch einen Torturm von 6,50 m Breite und 7,00 m Länge. Die Breite der Durchfahrt betrug 2,50 m. Es war vermutlich das Haupttor der „Skephenburc“ aus dem späten 7. Jahrhundert. Der Torturm ist in die Burgmauer eingebunden. Die Nordmauer stößt an ihn an. Der genaue Verlauf der Ostmauer ist nicht festgestellt; sie muss in Richtung der Wehrgräben auf der Rodelwiese geführt haben.
Noch etwas bergige Klostergeschichte
Kurz vor 1200 hatte Gräfin Clementina von Gleiberg ein Problem. Ihr Mann, der streitbare Graf Konrad I. von Luxemburg, hatte sich als treuer Gefolgsmann seines Königs Heinrich IV. mit Papst Gregor VII., dem heiligen Satan und Zuchtrute Gottes, angelegt. Er entführte sogar den Erzbischof von Trier. Rom war nicht amused. Konrad und Heinrich wurden kirchengebannt. König Heinrich reiste nach Canossa, Graf Konrad musste sogar bis nach Israel. Pilgern und sühnen. Die heiligen Stätten durfte er noch schauen, doch auf der Rückreise ereilte ihn 1086 der Tod. Witwe Clementia schenkte 40 Jahre nach des Mannes Tod der Kirche in Form des Erzbistums Trier den Schiffenberg, damit man dort ein Kloster errichte – politisches Kalkül oder zur späten Rettung der Seele des toten Mannes? Das Klosterleben lief nicht rund. Die Augustinermänner kriegten sich mit den Chorfrauen von Cella in die Haare und wollte die Probleme weltlich lösen: Vor einem Gericht in Gießen! 1323 wurde aufgelöst. Grund:
„Es ist jetzt durch Sündenschuld in einen so erbärmlichen Zustand herabgesunken ist, dass in diesem Kloster Gott nicht mehr geehrt, der Gottesdienst nicht mehr gehalten wird, und die Brüder, nachdem sie mit dem Habit auch die klösterliche Zucht abgeworfen, nun wie Vagabunden, unstet, ohne Oberen und fast unverbesserlich außerhalb des Klosters umherschweifen, nachdem sie sowohl die beweglichen, als auch unbeweglichen Güter, die Bücher und heiligen Gefäße und anderes kirchliches Gerät verkauft, zerstückelt, zerstreut, veräußert und zum größten Teil verzehrt haben. Ja, das Kloster selbst, das ehemals ein Haus Gottes und frommer Menschen war, ist durch den Feind der Religion, den Sämann des Unkrauts, ein Gegenstand des Ärgernisses und der Schmach für die Nachbarschaft geworden.“
Der Deutsche Orden war der Nutznießer. Napoleon löste dann das ganze Ding endgültig auf.
Wenn man dann so an den Klostermauern sitzt, den Blick ins Ferne schweifen lässt, dann könnte man auch einen Gedanken an den Gerwin verschwenden. Wer das war? Ein lokaler Einsiedler.
Dem Gerwin war schon früher der Trubel auf dem Schiffenberg wohl zuviel geworden, denn er beschloss dereinst, sich von der Schiffenberger Klostereinöde ins Hangelsteinische zurückzuziehen und hier bei Quellwasser und Brot endlich in Ruhe seinen Kontemplationen nachzuhängen. So die offizielle Version. Die Eingeweihten wussten allerdings eine ganz andere Geschichte zu erzählen. Der Gerwin war nämlich gar nicht freiwillig ins Kloster gegangen. Und wer ein wenig mit französischer Kriminalgeschichte vertraut ist, wird nun sofort ein fröhliches „Cherchez la femme“ in einen der beiden Wälder rufen! Der Gerwin war ein Translahnier und stammte aus edlem Gleiberger Geschlecht. Als Grafensohn hatte er natürlich ein süßes Leben, das er vor allem mit seinem Busenfreunde Balduin genoss. Dasselbe endete aber recht abrupt, als sich sowohl der Gerwin als auch der Balduin in dasselbe Gleiberger Mädel verguckten. Anstatt nun die süßen Seiten des Lebens in einer Ménage-à-trois weiterhin zu genießen, machte der Gerwin alles kaputt und murkste seinen besten Freund einfach ab. Nun war es mit den Annehmlichkeiten vorbei. Erstens wegen der kargen Klostersuppe auf dem Schiffenberg und zweitens, weil Balduins Bruder Blutrache für den feigen Mord geschworen hatte. Als nun publik wurde, wo sich der Gerwin versteckt hielt, überkam denselben die Angst um sein Leben und er floh in den Hangelsteiner Wald, wo er es als Eremit, Weiser, Heiler und schlussendlich Heiliger zu lokalem Ruhm und Ansehen brachte. Wie die Geschichte endete? Mit einem Blatt Papier… an dem sich ein Messer befand… das in Balduins Brust steckte: „Das war die Strafe für die Ermordung meines Bruders!“
Dem Gerwin war schon früher der Trubel auf dem Schiffenberg wohl zuviel geworden, denn er beschloss dereinst, sich von der Schiffenberger Klostereinöde ins Hangelsteinische zurückzuziehen und hier bei Quellwasser und Brot endlich in Ruhe seinen Kontemplationen nachzuhängen. So die offizielle Version. Die Eingeweihten wussten allerdings eine ganz andere Geschichte zu erzählen. Der Gerwin war nämlich gar nicht freiwillig ins Kloster gegangen. Und wer ein wenig mit französischer Kriminalgeschichte vertraut ist, wird nun sofort ein fröhliches „Cherchez la femme“ in einen der beiden Wälder rufen! Der Gerwin war ein Translahnier und stammte aus edlem Gleiberger Geschlecht. Als Grafensohn hatte er natürlich ein süßes Leben, das er vor allem mit seinem Busenfreunde Balduin genoss. Dasselbe endete aber recht abrupt, als sich sowohl der Gerwin als auch der Balduin in dasselbe Gleiberger Mädel verguckten. Anstatt nun die süßen Seiten des Lebens in einer Ménage-à-trois weiterhin zu genießen, machte der Gerwin alles kaputt und murkste seinen besten Freund einfach ab. Nun war es mit den Annehmlichkeiten vorbei. Erstens wegen der kargen Klostersuppe auf dem Schiffenberg und zweitens, weil Balduins Bruder Blutrache für den feigen Mord geschworen hatte. Als nun publik wurde, wo sich der Gerwin versteckt hielt, überkam denselben die Angst um sein Leben und er floh in den Hangelsteiner Wald, wo er es als Eremit, Weiser, Heiler und schlussendlich Heiliger zu lokalem Ruhm und Ansehen brachte. Wie die Geschichte endete? Mit einem Blatt Papier… an dem sich ein Messer befand… das in Balduins Brust steckte: „Das war die Strafe für die Ermordung meines Bruders!“
Jetzt haben ja Kirchen diverse Schmuckstücke an ihren Wänden angebracht, doch die Kirche auf dem Schiffenberg hatte einst ein ganz besonderes Stück über dem Altar hängen. Eine Flagge! Jawohl! Eine im Kampfe erbeutete Flagge. Im Schatten dieser Fahne trieb aber ein alter Ritter, ein Komtur, sein mitternächtliches Unwesen. Er, der einst einem geistlichen Ritterorden vorstand, er, der diese Flagge dem Feind aus dessen blutrünstigen Händen gerissen hatte, fand nun im Grab keine nächtliche Ruhe, da er mitansehen musste, wie das gute Tuch in der modrigen Luft der Kirche vergammelte, verstaubte und von Motten zerfressen wurde. So durfte dieses Symbol des Sieges im Namen des Herren nicht verderben! Er reckte seine knochige Hand aus dem Sarg, um seinen Schatz mit ins Jenseits zu nehmen… doch da schlug die Glocke ein Uhr und es zog den Rittersmann zurück in seine Gruft! Und die Flagge faulte weiter vor sich hin.
Crescentia
Wir haben da die junge Nonne Crescentia, die höchstwahrscheinlich vom gierigen Papa ins Kloster geschickt wurde, um sich die Hochzeitskosten zu sparen. Und da haben wir den jungen Mönch Ottfried. Und es kam, wie es kommen musste. Man traf sich, das junge Blut wallte hoch, war sich sympathisch… und vergnügte sich fürderhin im Schiffenberger Walde. Und so hätte es viele Jahre lang bleiben können, ja, wenn da nicht eine eifersüchtige Nonne gewesen wäre, die Teile ihrer Gottesliebe gerne für etwas weltliche Liebe mit dem strammen Ottfried hingegen hätte. Da sie das aber nicht erringen konnte, so wollte sie es auch ihrer Kollegin Crescentia nicht gönnen. Sie drohte, das Liebespaar auffliegen zu lassen, sollte sich der Ottfried noch einmal in Cella-Klosternähe blicken lassen. Dem Mönch war die ältere Dame nicht geheuer und so blieb er vorerst mal für einige Zeit auf dem Berg im heimatlichen Schiffenberger Kloster. Blöd nur, dass sich die Crescentia mit diesem Liebesentzug ihres teuren Mönches überhaupt nicht anfreunden konnte, depressiv wurde und ihrem jungen Leben kurzerhand im Petersweiher ein Ende setzte. Was sich nun der Mönch ein wenig zu Herzen nahm und viel seufzte und stöhnte in den Tagen nach diesem Verlust.
Im Schiffenberger Wald trieb sich zu der Zeit auch ein Fallensteller herum, der es auf ein gutes, aber illegales Wildbret abgesehen hatte. Aus offensichtlichen Gründen war er vor allem nächtens unterwegs… und da kann so ein Wald schon recht unheimlich sein. Und so lief ihm anfangs auch ein kalter Schauer über den Rücken, als er in Teichnähe ein recht schauerliches Stöhnen vernahm. Es war aber nur der arme Ottfried, der hier am Ort seines Verlustes seine Seelenpein in den nächtlichen Wald hinaus entließ. Unser Wilderer kam erst zuhause wieder zu sich und verbreitete in Gießen und Umgebung die Mär von der Crescentia als Gespenst, das in der Nacht im Wald sein Unwesen treiben würde. Praktischerweise war so in einem Aufwasch sichergestellt, dass der Fallensteller eine Zeit lang in relativer Ruhe seinen fleischlichen Trieben frönen konnte. Leider war es nun so, dass der lokale Waldhüter schon vor derselben Zeit ein aufgeklärter Mann war und im Grunde nur das glaubte, was er mit eigenen Augen gesehen hatte. Und die mögliche Sichtung eines Gespenstes in seinem Wald ließ ihm das Adrenalin ins Blut schießen. Es war daher nur eine Frage der Zeit, dass sich Waldhüter und Wilderer ins Gehege kommen würden. Und siehe da, kaum gedacht, war es auch schon so weit. Der wackere Wildhüter entdeckte sein „Gespenst“ beim Fischen im Petersweiher. Als er dem illegalen Fischer aber die Hand des Gesetzes auf die Schultern legen wollte, da stieß ihn derselbe rücksichtslos ins Wasser, wo der nicht schwimmen könnende Hüter jämmerlich ertrank. Unser Fischer packte seinen Fang ein und ging seelenruhig nach Hause. Wie sehr sich die lokalen Behörden auch anstrengten, der Mörder des Waldhüters konnte nie gefunden werden. Der liebe Ottfried verzichtete daraufhin auf weitere Besuche beim Teich und setzte seine Trauerarbeit im Kloster fort. Und unser Wilddieb? Er gestand die Tat auf seinem Totenbett, denn man weiß ja aus der einschlägigen Literatur, wie es nach dem Sterben mit bösen Menschen so weitergeht!
PS.: Die Namensgeberin der Crescentia – der Wachsenden – fand ihr Ende übrigens in trauter Zweisamkeit mit ihrem Mann nicht in kaltem Wasser sondern in siedendem Öl. Aber das ist eine andere Geschichte.
Wir haben da die junge Nonne Crescentia, die höchstwahrscheinlich vom gierigen Papa ins Kloster geschickt wurde, um sich die Hochzeitskosten zu sparen. Und da haben wir den jungen Mönch Ottfried. Und es kam, wie es kommen musste. Man traf sich, das junge Blut wallte hoch, war sich sympathisch… und vergnügte sich fürderhin im Schiffenberger Walde. Und so hätte es viele Jahre lang bleiben können, ja, wenn da nicht eine eifersüchtige Nonne gewesen wäre, die Teile ihrer Gottesliebe gerne für etwas weltliche Liebe mit dem strammen Ottfried hingegen hätte. Da sie das aber nicht erringen konnte, so wollte sie es auch ihrer Kollegin Crescentia nicht gönnen. Sie drohte, das Liebespaar auffliegen zu lassen, sollte sich der Ottfried noch einmal in Cella-Klosternähe blicken lassen. Dem Mönch war die ältere Dame nicht geheuer und so blieb er vorerst mal für einige Zeit auf dem Berg im heimatlichen Schiffenberger Kloster. Blöd nur, dass sich die Crescentia mit diesem Liebesentzug ihres teuren Mönches überhaupt nicht anfreunden konnte, depressiv wurde und ihrem jungen Leben kurzerhand im Petersweiher ein Ende setzte. Was sich nun der Mönch ein wenig zu Herzen nahm und viel seufzte und stöhnte in den Tagen nach diesem Verlust.
Im Schiffenberger Wald trieb sich zu der Zeit auch ein Fallensteller herum, der es auf ein gutes, aber illegales Wildbret abgesehen hatte. Aus offensichtlichen Gründen war er vor allem nächtens unterwegs… und da kann so ein Wald schon recht unheimlich sein. Und so lief ihm anfangs auch ein kalter Schauer über den Rücken, als er in Teichnähe ein recht schauerliches Stöhnen vernahm. Es war aber nur der arme Ottfried, der hier am Ort seines Verlustes seine Seelenpein in den nächtlichen Wald hinaus entließ. Unser Wilderer kam erst zuhause wieder zu sich und verbreitete in Gießen und Umgebung die Mär von der Crescentia als Gespenst, das in der Nacht im Wald sein Unwesen treiben würde. Praktischerweise war so in einem Aufwasch sichergestellt, dass der Fallensteller eine Zeit lang in relativer Ruhe seinen fleischlichen Trieben frönen konnte. Leider war es nun so, dass der lokale Waldhüter schon vor derselben Zeit ein aufgeklärter Mann war und im Grunde nur das glaubte, was er mit eigenen Augen gesehen hatte. Und die mögliche Sichtung eines Gespenstes in seinem Wald ließ ihm das Adrenalin ins Blut schießen. Es war daher nur eine Frage der Zeit, dass sich Waldhüter und Wilderer ins Gehege kommen würden. Und siehe da, kaum gedacht, war es auch schon so weit. Der wackere Wildhüter entdeckte sein „Gespenst“ beim Fischen im Petersweiher. Als er dem illegalen Fischer aber die Hand des Gesetzes auf die Schultern legen wollte, da stieß ihn derselbe rücksichtslos ins Wasser, wo der nicht schwimmen könnende Hüter jämmerlich ertrank. Unser Fischer packte seinen Fang ein und ging seelenruhig nach Hause. Wie sehr sich die lokalen Behörden auch anstrengten, der Mörder des Waldhüters konnte nie gefunden werden. Der liebe Ottfried verzichtete daraufhin auf weitere Besuche beim Teich und setzte seine Trauerarbeit im Kloster fort. Und unser Wilddieb? Er gestand die Tat auf seinem Totenbett, denn man weiß ja aus der einschlägigen Literatur, wie es nach dem Sterben mit bösen Menschen so weitergeht!
PS.: Die Namensgeberin der Crescentia – der Wachsenden – fand ihr Ende übrigens in trauter Zweisamkeit mit ihrem Mann nicht in kaltem Wasser sondern in siedendem Öl. Aber das ist eine andere Geschichte.
Cella
Der Herr machte in seiner Weisheit den Mann und die Frau… und dann sagte er ihnen, dass sie sich vermehren sollten… und fügte als Endnote hinzu, dass diejenigen, die das nicht täten, ihm ganz besonders nahe stehen würden! Soviel zur Vorgeschichte. Auf dem Schiffenberg standen daher einst, wohl gottgewollt und in der richtigen Hierarchie, zwei Klöster. Das obere war ein Männerkloster, das untere beim Petersbrünnlein war ein Frauenkloster und trug den Namen Cella. Um den beiden göttlichen Wünschen nach Vermehrung und Enthaltsamkeit gleichermaßen entsprechen zu können, scheute man keine Mühen und schuf einen unterirdischen Gang zwischen den beiden Klöstern. So konnten der Mönch und die Nonne, der Abt und die Äbtissin tagsüber und auch nächtens göttliches Werk tun. Wie üblich gab es aber einen, der katholischer als der Papst sein wollte und mit seiner Raunzerei allen die Stimmung verdarb. Und als er dann noch die Version mit der Marienvision und dem Strafgericht ins Spiel brachte, da war man echt verstimmt in den klösterlichen Kreisen. Die Mannschaft sperrte den Miesepeter im Schiffenberger Kloster ein, packte Speck und Wein und zog hinunter zu den Weibern. Da zog eine mächtige Wolkenwand auf, ein Blitz schlug ein, ein Donner war zu hören… und Cella war Geschichte. Verschluckt. Vom Erdboden. Mit Wein, Weib und Braten. Tja, so war es früher, wenn man Gottes Gebote befolgte.
Der Herr machte in seiner Weisheit den Mann und die Frau… und dann sagte er ihnen, dass sie sich vermehren sollten… und fügte als Endnote hinzu, dass diejenigen, die das nicht täten, ihm ganz besonders nahe stehen würden! Soviel zur Vorgeschichte. Auf dem Schiffenberg standen daher einst, wohl gottgewollt und in der richtigen Hierarchie, zwei Klöster. Das obere war ein Männerkloster, das untere beim Petersbrünnlein war ein Frauenkloster und trug den Namen Cella. Um den beiden göttlichen Wünschen nach Vermehrung und Enthaltsamkeit gleichermaßen entsprechen zu können, scheute man keine Mühen und schuf einen unterirdischen Gang zwischen den beiden Klöstern. So konnten der Mönch und die Nonne, der Abt und die Äbtissin tagsüber und auch nächtens göttliches Werk tun. Wie üblich gab es aber einen, der katholischer als der Papst sein wollte und mit seiner Raunzerei allen die Stimmung verdarb. Und als er dann noch die Version mit der Marienvision und dem Strafgericht ins Spiel brachte, da war man echt verstimmt in den klösterlichen Kreisen. Die Mannschaft sperrte den Miesepeter im Schiffenberger Kloster ein, packte Speck und Wein und zog hinunter zu den Weibern. Da zog eine mächtige Wolkenwand auf, ein Blitz schlug ein, ein Donner war zu hören… und Cella war Geschichte. Verschluckt. Vom Erdboden. Mit Wein, Weib und Braten. Tja, so war es früher, wenn man Gottes Gebote befolgte.
Wir wollen aber nicht zu sehr in der lokalen Geschichte verweilen und rollen daher nach Hausen hinunter.
Nun wartet der Lutherberg darauf, befahren zu werden. Er befindet sich am Ortsrand von Steinbach und ist nur ein besserer Hügel, bietet aber sehr imposante Ausblicke ins Gießener Land.
Annerod ist schnell umrollt, nun geht es ins Naturschutzgebiet Hohe Warte. Und hier wartet eine Gießener Besonderheit auf Radler_innen: Hier stehen Przewalski-Pferde hinterm Zaun! Ein paar Blätter informieren:
Gehege für Przewalski-Pferde - Artenschutzprojekt
Kurzbeschreibung der Gehegefläche im Vertragsnaturschutzgebiet „Hohe Warte“ (Ehemaliger StübPlatz Gießen)
Wuchsgebiet: Gießener Becken, Randlage des Lahntals
Standortseinheit: mäßig frische Basaltlehme, nährstoffreich
Höhe über NN: 220 bis 230 m
Flächengröße: 23 ha
Klima: Jahresniederschlag im Mittel 640 mm. Durchschnittl. Jahrestemperatur 8,5 Grad Celsius. Im Winter längere Frostperioden
Seltene Pflanzen: Wiesen-Fuchsschwanz, Sumpfkraudistel, Knäuel-Binse,Acker-Minze, Geflecktes Johanniskraut, Ehrenpreis, u.a.
Seltene Vogelarten: Feldlerche, Kuckuck, Neuntöter, Feldschwirl, Wiesenpieper, Rohrammer, Mittelspecht, Grauspecht.
Hohe Warte ist „Nationales Naturerbe“
Große Ehre für die Hohe Warte: Die Bundesregierung ernennt die Fläche zum „Nationalen Naturerbe“. Warum ausgerechnet die Fläche, auf der auch die Przewalski-Pferde stehen? Hier gibt’s die Erklärung.
Gießen (mö). Ein Naturschutzgebiet ist die zwischen Gießen und Annerod gelegene Hohe Warte schon seit vielen Jahren. Aber über Jahrzehnte prägte auch das Militär das Bild des Areals am Ostrand der Universitätsstadt. Die Bemühungen des dort ansässigen Bundesforsts, das Gelände nach der Aufgabe der militärischen Nutzung vollständig der Natur zu überlassen, sind nun von der Bundesregierung geadelt worden. Sie ernannte die Hohe Warte und den nördlichen Teil des früheren US-Depots zum „Nationalen Naturerbe“. Die Wiesenlandschaft, die in den letzten Jahren durch die Przewalski-Pferde noch bekannter wurde, ist nur eines von zwei Gebieten in Hessen, die ernannt wurden. Deutschlandweit sind es 62 Gebiete mit einer Gesamtfläche von 31.000 Hektar, die früher militärisch genutzt wurden und nun endgültig renaturiert sind. In der Beschreibung auf der Internetseite des Bundesumweltministeriums heißt es über die beiden Gießener Gebiete: „Der ehemalige Standortübungsplatz ist großenteils durch Wald geprägt und weist auf dem Plateaubereich außerordentlich wertvolles Offenland auf. Hier finden sich nährstoffarme Lebensräume wie trockene Offenböden, Feuchtgrünland und Kleinseggengesellschafien sowie wechselfeuchte Rohböden mit Zwergbinseflora. Das ehemalige US-Depot beherbergt wichtige Brutgebiete für Neuntöter, Steinschmätzer, schwarzkehlchen, Wiesenpieper und Rohrammer. Es ist Bestandteil des besonderen Schutzgebiets Wieseckaue östlich Gießen. Der für die Hohe Warte zuständige Bundesförster Ralph Bauer freut sich über den Aufstieg in die Natur-Bundesliga: „Ich bin einfach nur happy, so eine Würdigung zu erfahren.“ Bauer ist seit l5 Jahren in Gießen und hat auf der Hohen Warte seitdem alle Veränderungen mitgestaltet. Neben der Ansiedlung der Urpferde war das auch der Rückbau der früheren Patriot-Raketenstellmg der Amerikaner, wo nun Wanderwege verlaufen, oder die Errichtung
der Solaranlage an stelle des früheren Bundeswehrdepots. Bauer: „Wann hat man schon einmal die Möglichkeit, ein Revier so zu gestalten?“ Es soll laut Bauer dauerhaft beim Bundesforst bleiben und nicht in eine Stiftung unter anderer Trägerschaft überführt werden. Der Nordrand des früheren US-Depots kam fr die Ernennung zum Naturerbe infrage, weil Bundesimmobilienanstalt und Stadt vor Jahren entschieden hatten, diesen Bereich dem Flora-Fauna-Heimat (FFH-Gebiet) Wieseckaue zuzuschlagen. Die Amerikaner lagerten in diesem Teil des Depots früher auch Atomwaffen [Gießener allgemeine Zeitung 2015]
Pressemitteilung - Przewalski-Hengst Fury wiehert jetzt in Gießen
Fury, der Przewalski-Hengst auf Campo Pond, hat Hanau verlassen und sorgt nun mit den sieben Stuten auf der Hohen Warte bei Gießen für Nachwuchs bei den Urwildpferden. Die Przewalski-Pferde sind wichtiger Bestandteil von Beweidungsprojekten auf mehreren Liegenschaften des Bundeeforstbetriebs Schwarzenborn. Die Umsetzung von Fury ist mit dem Europäischen Erhaltungszucht-Programm (EEP) abgestimmt und in den vergangenen Tagen vollzogen worden. Zeitgleich wurden zwei Stuten, die von der Zucht ausgeschlossen sind, von Gießen nach Campo Pond verbracht. Die Stute Jana und ihr Fohlen Nele zeigen eine vererbbare Hufverformung, die die beiden Stuten von der weiteren Zucht ausschließen. Um einen Kontakt mit Fury zu verhindern, wurden die Stuten nach Campo Pond umgestellt. Die Umsetzaktion, die von einem professionellen Tiertransportunternehmen durchgeführt wurde, stand unter der Aufsicht der Tierärztinnen des Frankfurter Zoos und Frau Dr. Licht aus Fernwald. „Transporte bedeuten für die Tiere immer Stress und Aufregung. Dank der guten Organisation und Zusammenarbeit hat aber alles gut geklappt und wir konnten die Belastung für die Tiere so gering wie möglich halten“, erklärte Dr. Nicole Schauerte, Tierärztin des Frankfurter Zoos. Durch die räumliche Nähe der Semireservate betrug die Transportzeit nur eine knappe Stunde. “Unsere Sorge, Fury sei vielleicht nicht zeugungsfähig, hat sich glücklicherweise nicht bestätigt Auf Campo Fond hat er bereits für Fohlen gesorgt und wir erwarten in Kürze weitere Fohlengeburten in Hanau. Jetzt benötigen wir ihn in Gießen und hoffen, dass er mit den dort verbliebenen Stuten ebenfalls für den dringend benötigten Nachwuchs sorgt" erklärt Paulin Kammann, die im Bundesforstbetrieb für die Organisation der Semireservate Verantwortung trägt. Aufgrund der engen Verwandtschaften - der heutige Bestand ist nur aus 12 ursprünglich noch vorhanden Exemplaren wieder aufgebaut worden - werden alle Nachzuchtbemühungen durch das EEP koordiniert, um den Inzuchtkoeffizienten so gering wie möglich zu halten. Heute leben in Deutschland ca. 190 Przewalski-Pferde in 24 Haltungen. Weltweit beläuft sich der Bestand auf knapp 2 000 Exemplare. In Hessen unterhält der Bundesforstbetrieb drei Semireservate mit derzeit 20 Przewalski-Pferden. Geplant sind zwei bis drei weitere Beweidungsprojekte in Südhessen. Natürlich sind wir mit unserem Angebot an Semireservaten für Przewalski-Pferde einer der wichtigsten Partner im europäischen Bemühen um die Arterhaltung dieser Urwildpferderasse. Doch für uns als Flächeneigentümer ist die ökologische Pflegaleistung genau so wichtig“, erläutert Christoph Goebel, Leiter des Bundesforstbetriebs. „Wir sind glücklich und stolz, dass wir einerseits Zielen des Natur- und Landschaftsschutzes entsprechen können, aber auch eine wichtige Rolle in der Arterhaltung einer fast schon ausgestorbenen Tierart übernommen haben.“ Ralph Bauer, der zuständige Forstbeamte und Ulrike Balzer, die Pferdebetreuerin haben zwei große Bitten: „Der Magen dieser Pferde ist auf ganz karge Kost ausgerichtet. Ein Füttern der Pferde könnte ihren Tod bedeuten. Und wir bitten die Pferdebesitzer nicht am Gatter entlang zu reiten. Dies würde für die Wildpferde eine große Aufregung und Stress bedeuten. Wir danken allen Besuchern und Naturfreunde, die uns hier so bemerkenswert und verständnisvoll unterstützen“.
Außerdem gibt es einen Wikipedia-Ausdruck. Hier der Link: Wikipedia.
Gehege für Przewalski-Pferde - Artenschutzprojekt
Kurzbeschreibung der Gehegefläche im Vertragsnaturschutzgebiet „Hohe Warte“ (Ehemaliger StübPlatz Gießen)
Wuchsgebiet: Gießener Becken, Randlage des Lahntals
Standortseinheit: mäßig frische Basaltlehme, nährstoffreich
Höhe über NN: 220 bis 230 m
Flächengröße: 23 ha
Klima: Jahresniederschlag im Mittel 640 mm. Durchschnittl. Jahrestemperatur 8,5 Grad Celsius. Im Winter längere Frostperioden
Seltene Pflanzen: Wiesen-Fuchsschwanz, Sumpfkraudistel, Knäuel-Binse,Acker-Minze, Geflecktes Johanniskraut, Ehrenpreis, u.a.
Seltene Vogelarten: Feldlerche, Kuckuck, Neuntöter, Feldschwirl, Wiesenpieper, Rohrammer, Mittelspecht, Grauspecht.
Hohe Warte ist „Nationales Naturerbe“
Große Ehre für die Hohe Warte: Die Bundesregierung ernennt die Fläche zum „Nationalen Naturerbe“. Warum ausgerechnet die Fläche, auf der auch die Przewalski-Pferde stehen? Hier gibt’s die Erklärung.
Gießen (mö). Ein Naturschutzgebiet ist die zwischen Gießen und Annerod gelegene Hohe Warte schon seit vielen Jahren. Aber über Jahrzehnte prägte auch das Militär das Bild des Areals am Ostrand der Universitätsstadt. Die Bemühungen des dort ansässigen Bundesforsts, das Gelände nach der Aufgabe der militärischen Nutzung vollständig der Natur zu überlassen, sind nun von der Bundesregierung geadelt worden. Sie ernannte die Hohe Warte und den nördlichen Teil des früheren US-Depots zum „Nationalen Naturerbe“. Die Wiesenlandschaft, die in den letzten Jahren durch die Przewalski-Pferde noch bekannter wurde, ist nur eines von zwei Gebieten in Hessen, die ernannt wurden. Deutschlandweit sind es 62 Gebiete mit einer Gesamtfläche von 31.000 Hektar, die früher militärisch genutzt wurden und nun endgültig renaturiert sind. In der Beschreibung auf der Internetseite des Bundesumweltministeriums heißt es über die beiden Gießener Gebiete: „Der ehemalige Standortübungsplatz ist großenteils durch Wald geprägt und weist auf dem Plateaubereich außerordentlich wertvolles Offenland auf. Hier finden sich nährstoffarme Lebensräume wie trockene Offenböden, Feuchtgrünland und Kleinseggengesellschafien sowie wechselfeuchte Rohböden mit Zwergbinseflora. Das ehemalige US-Depot beherbergt wichtige Brutgebiete für Neuntöter, Steinschmätzer, schwarzkehlchen, Wiesenpieper und Rohrammer. Es ist Bestandteil des besonderen Schutzgebiets Wieseckaue östlich Gießen. Der für die Hohe Warte zuständige Bundesförster Ralph Bauer freut sich über den Aufstieg in die Natur-Bundesliga: „Ich bin einfach nur happy, so eine Würdigung zu erfahren.“ Bauer ist seit l5 Jahren in Gießen und hat auf der Hohen Warte seitdem alle Veränderungen mitgestaltet. Neben der Ansiedlung der Urpferde war das auch der Rückbau der früheren Patriot-Raketenstellmg der Amerikaner, wo nun Wanderwege verlaufen, oder die Errichtung
der Solaranlage an stelle des früheren Bundeswehrdepots. Bauer: „Wann hat man schon einmal die Möglichkeit, ein Revier so zu gestalten?“ Es soll laut Bauer dauerhaft beim Bundesforst bleiben und nicht in eine Stiftung unter anderer Trägerschaft überführt werden. Der Nordrand des früheren US-Depots kam fr die Ernennung zum Naturerbe infrage, weil Bundesimmobilienanstalt und Stadt vor Jahren entschieden hatten, diesen Bereich dem Flora-Fauna-Heimat (FFH-Gebiet) Wieseckaue zuzuschlagen. Die Amerikaner lagerten in diesem Teil des Depots früher auch Atomwaffen [Gießener allgemeine Zeitung 2015]
Pressemitteilung - Przewalski-Hengst Fury wiehert jetzt in Gießen
Fury, der Przewalski-Hengst auf Campo Pond, hat Hanau verlassen und sorgt nun mit den sieben Stuten auf der Hohen Warte bei Gießen für Nachwuchs bei den Urwildpferden. Die Przewalski-Pferde sind wichtiger Bestandteil von Beweidungsprojekten auf mehreren Liegenschaften des Bundeeforstbetriebs Schwarzenborn. Die Umsetzung von Fury ist mit dem Europäischen Erhaltungszucht-Programm (EEP) abgestimmt und in den vergangenen Tagen vollzogen worden. Zeitgleich wurden zwei Stuten, die von der Zucht ausgeschlossen sind, von Gießen nach Campo Pond verbracht. Die Stute Jana und ihr Fohlen Nele zeigen eine vererbbare Hufverformung, die die beiden Stuten von der weiteren Zucht ausschließen. Um einen Kontakt mit Fury zu verhindern, wurden die Stuten nach Campo Pond umgestellt. Die Umsetzaktion, die von einem professionellen Tiertransportunternehmen durchgeführt wurde, stand unter der Aufsicht der Tierärztinnen des Frankfurter Zoos und Frau Dr. Licht aus Fernwald. „Transporte bedeuten für die Tiere immer Stress und Aufregung. Dank der guten Organisation und Zusammenarbeit hat aber alles gut geklappt und wir konnten die Belastung für die Tiere so gering wie möglich halten“, erklärte Dr. Nicole Schauerte, Tierärztin des Frankfurter Zoos. Durch die räumliche Nähe der Semireservate betrug die Transportzeit nur eine knappe Stunde. “Unsere Sorge, Fury sei vielleicht nicht zeugungsfähig, hat sich glücklicherweise nicht bestätigt Auf Campo Fond hat er bereits für Fohlen gesorgt und wir erwarten in Kürze weitere Fohlengeburten in Hanau. Jetzt benötigen wir ihn in Gießen und hoffen, dass er mit den dort verbliebenen Stuten ebenfalls für den dringend benötigten Nachwuchs sorgt" erklärt Paulin Kammann, die im Bundesforstbetrieb für die Organisation der Semireservate Verantwortung trägt. Aufgrund der engen Verwandtschaften - der heutige Bestand ist nur aus 12 ursprünglich noch vorhanden Exemplaren wieder aufgebaut worden - werden alle Nachzuchtbemühungen durch das EEP koordiniert, um den Inzuchtkoeffizienten so gering wie möglich zu halten. Heute leben in Deutschland ca. 190 Przewalski-Pferde in 24 Haltungen. Weltweit beläuft sich der Bestand auf knapp 2 000 Exemplare. In Hessen unterhält der Bundesforstbetrieb drei Semireservate mit derzeit 20 Przewalski-Pferden. Geplant sind zwei bis drei weitere Beweidungsprojekte in Südhessen. Natürlich sind wir mit unserem Angebot an Semireservaten für Przewalski-Pferde einer der wichtigsten Partner im europäischen Bemühen um die Arterhaltung dieser Urwildpferderasse. Doch für uns als Flächeneigentümer ist die ökologische Pflegaleistung genau so wichtig“, erläutert Christoph Goebel, Leiter des Bundesforstbetriebs. „Wir sind glücklich und stolz, dass wir einerseits Zielen des Natur- und Landschaftsschutzes entsprechen können, aber auch eine wichtige Rolle in der Arterhaltung einer fast schon ausgestorbenen Tierart übernommen haben.“ Ralph Bauer, der zuständige Forstbeamte und Ulrike Balzer, die Pferdebetreuerin haben zwei große Bitten: „Der Magen dieser Pferde ist auf ganz karge Kost ausgerichtet. Ein Füttern der Pferde könnte ihren Tod bedeuten. Und wir bitten die Pferdebesitzer nicht am Gatter entlang zu reiten. Dies würde für die Wildpferde eine große Aufregung und Stress bedeuten. Wir danken allen Besuchern und Naturfreunde, die uns hier so bemerkenswert und verständnisvoll unterstützen“.
Außerdem gibt es einen Wikipedia-Ausdruck. Hier der Link: Wikipedia.
Beim Anblick dieser schönen Tieren könnte man sich ja direkt die Frage stellen, wie es denn so bestellt ist um das "russische Gießen" und das Verhältnis der Gießener_innen zu Russland. Und wer ein wenig in den Tiefen der Geschichte gräbt, der entdeckt Erstaunliches.
Das russische Gießen
Die russischen Spuren in Gießen sind von feiner Klinge… also etwas schwer zu finden. Und doch gibt es sie. Massig!
Il'ja Il'itsch Metschnikov / Илья Ильич Мечников
Der Medizin-Nobelpreisträger studierte 1864 und 1865 in Gießen. Ja, Tolstoj lässt grüßen! Info: Wikipedia.
Franz Ludwig Cancrin
Der Baumeister und Schriftsteller wurde 1738 in Bieber / Gelnhausen geboren und verstarb 1816 in Sankt Petersburg. Der Franz leitete Gruben im Hessischen. Nach seiner Pensionierung ging er 1784 nach Russland und machte eine zweite Karriere. Er wurde Direktor der russischen Salzwerke in Staraja-Rusa bei Novgorod, 1798 Kaiserlich-Russischer Staatsrat, bekam ein Haus in Sankt Petersburg als Geschenk und wurde 1812 pensioniert. Der Franz war der Nachfolger vom Generalleutnant Bauer, der auch aus seiner Gegend kam. Er schenkte der Nachwelt sein zwölfbändiges „Grundzüge der Berg- und Salzwerkskunde“ aus 1773 bis 1791, das in Gießen entstand und mit 1788 datiert ist. Hier lebte er mehrere Jahre - vollbezahlter Urlaub – zur Wiederherstellung seiner Gesundheit Ja, er war mit dem Georg verwandt. Der Georg war sein Sohn!
Georg Cancrin
Graf Georg Ludwig Cancrin wurde 1774 in Hanau geboren, studierte 1790 bis 1794 Recht und Politik in Gießen und wurde später russischer General und Finanzminister. Er lobte seine Studienstadt aber nicht besonders. Er starb 1845 in Pavlovsk bei Sankt Petersburg. 1796 folgte er seinem Vater nach Russland und arbeitete als dessen Gehilfe, später dann im Ministerium des Inneren und in der Militärverwaltung. Er schrieb ein Werk über „Die Verpflegung der Truppen“. Und schon war er Adjutant des Generalproviantmeisters, Generalmajor, Generalintendant der Westarmee und schlussendlich Generalintendant sämtlicher aktiver Armeen. Innerrussischen Intrigen konnte er trotzen und wurde 1823 zum Finanzminister befördert… und machte es wie ein Herr W. Schäuble. Er brachte Ordnung in die Finanzen und sparte das Land halb zu Tode… und machte es wie Putin, setzte voll auf die Staatsindustrie, unterdrückte Kritik und alles Private und begünstigte ihm genehme Unternehmen. Er war also verantwortlich, dass Russland ein Industriestaat wurde. 1844 endete seine steile Karriere. Er starb 1845.
Münchholzhausen
Im Jahre 1814 – Napoleon hatte vorher halb Europa besetzt - war ein Kosakenregiment des 1. Kaiserlichen Russischen Armeekorps einquartiert und zunächst als Verbündete von den Einwohnern geachtet. Dies änderte sich am 2. Juli 1814, als ein Kosake versuchte eine Bewohnerin des Dorfes zu vergewaltigen. Der Ehemann der Frau erschlug den Soldaten. Eine hochbrisante Lage entstand: Münchholzhausen sollte von den Kosaken zerstört werden. Nur der flehentlichen Bitte – dem sogenannten „Kniefall“ - der dort wohnenden Gräfin zu Sayn-Wittgenstein vor dem russischen Kommandeur war es zu verdanken, dass dieser Gnade walten ließ. Es musste jedoch ein Blutzoll von einem Taler pro Haus in die Regimentskasse eingezahlt werden.
Adolf Ludwig Grolman
Der Jurist wurde 1722 geboren und verstarb 1795 in Gießen. Sein Sohn Ludwig (1777 bis 1813) fiel als Oberstleutnant im damals russischen Vilnius.
Carl Heinrich Merck
Der Arzt, Entdecker und Naturforscher wurde 1761 in Darmstadt geboren, studierte in Gießen und starb 1799 an einem Schlaganfall in Sankt Petersburg. Er war unter anderem Hofrat in Sankt Petersburg, Arzt in Irkutsk, 1788 bis 1791 Verfasser eines Tagebuches während seiner Teilnahme an der Billings-Saryčev-Expedition nach Kamčatka, die Alëuten, Alaska und auf die Čukotka-Halbinsel. Der Nachwelt hinterließ er „Das sibirisch-amerikanische Tagebuch aus den Jahren 1788 bis 1791“.
Seine Tochter Sophie (1797 bis 1872) war verheiratet mit Friedrich August Kabisch, Besitzer einer chemischen Fabrik in Sankt Petersburg. Sein Sohn war Friedrich Karl Wolfgang (1799 bis 1857), Apotheker in Sankt Petersburg.
Ludwig IV. Großherzog von Hessen und bei Rhein
Der Offizier wurde 1837 in Bessungen geboren und starb 1892 in Darmstadt. Er studierte 1857 in Gießen. Seine Tochter Elisabeth wurde die Heilige Elisaveta Feodorovna, die mit dem Großfürsten Sergej Aleksandrovič verheiratet war. Sie lebte von 1864 bis 1918 und fand ihren Tod in Ekaterinburg. Ihr Mann lebte von 1857 bis 1905 und wurde ebenfalls ermordet.
Die Tochter Alix beziehungsweise Aleksandra Feodorovna (1872 bis 1918) brachte es sogar zur russischen Zarin. Sie war ab 1894 mit Zar Nikolaus II (1868 bis 1918) verheiratet.
Kollektiver Lulu und Gießener Räuber
Auch der Professor der Medizin, Chemie und Mineralogie, Johann Wilhelm Baumer, der von 1719 bis 1788 lebte, hängt heute noch in der universitären Professorengalerie herum. Er kam 1764 nach Gießen. In seiner Eigenschaft als Botaniker machte er sich nun mit seinen Studenten auf den Weg, um die Flora der Umgebung zu erkunden… und versetzte damit die Bauern in helle Aufruhr. Sie waren nämlich der Meinung, dass die Gruppe nur die allseits gesuchte lokale Räuberbande sein konnte, die hier ihr Unwesen trieb. Den Professor kostete es nicht geringe Mühe, die Agrarier vom Gegenteil zu überzeugen.
Und als in der Gießener Gegend eine nicht näher definierte Krankheit umging, veranlasste Johann, dass man von den Landbewohnern eine Urinprobe zog, damit er dieselbe genauer unter die Lupe nehmen könne. Nichts einfacher als das. Am nächsten Morgen stand vor seiner Tür ein großes Fass mit dem gesammelten Urin der Landbewohner!
Zu erwähnen ist noch, dass der Johann mit dem Johann Wilhelm Christian einen Neffen UND Schwiegersohn hatte, der von 1753 bis 1829 lebte, ab 1775 in Gießen Medizin studierte und 1809 nach Russland ging, wo er in Sankt Petersburg und Riga als Militärarzt tätig war. 1824 wurde er sogar in den Adelsstand erhoben. Christians Sohn Karl Friedrich Albrecht VON Baumer lebte von 1787 bis 1839, wurde in Nidda geboren, studierte in Gießen verschiedene naturwissenschaftliche Fächer, ging mit seinen Eltern nach Russland und starb 1839 im Dienste der russischen Armee in Tiflis.
Der russische Hof
Er stand oberhalb der katholischen Kirche auf dem Seltersberg. Auf der Homepage der Teutonia findet sich ein Foto aus 1841.
Die Orthodoxie in Gießen
Die Gemeinde der russischen orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchates der Stadt Gießen wurde 2007 gegründet. Es ist eine Gemeinde zu Ehren der Shirovizer Gottesmutterikone. Gottesdienste werden in der evangelischen Pauluskirche abgehalten. Pfarrer ist der Priestermönch Kyprian (Heinrich). Homepage: www.giessen.orthodoxy.ru.
„Russische“ Supermärkte
Wer Sehnsucht nach russischen Produkten hat, der findet sie in Gießen vor allem im Mixmarkt im Bantzerweg 1 und im Rimax in der Rodheimerstr 63. Der Mixmarkt ist eine Kette, die europaweit agiert. Der Rimax fungiert unter „osteuropäische Spezialitäten“. Da sich die russische Seele zum Entspannen gerne in einfache kubische Formen zurückzuziehen scheint, kleben an den Märkten noch diverse Fastfoodstände, Reisebüros, Konzertagenturen und Souvenirläden dran, was das ästhetische Auge eines Zentraleuropäers leicht irritieren kann. Ein im Internet kolportiertes „Valeria“ in der Liebigstraße 88 und ein „Rovial“ in Wingert 17 konnten 2015 nicht gefunden werden.
Przewalski-Pferde im Europaviertel
Jenseits des Gießener Ringes und mitten in einem Waldgebiet, da lag einst die Steubenkaserne. Heute sind dort ein Industriepark, eine Kunstallee, ein Solarkraftwerk… und eine kleine Herde Przewalski-Pferde als „Rasenmäher“.
Heuchelheim 1914
Für die mit Lazarettzügen in Gießen ankommenden Verwundeten diente zunächst der Windhof in Heuchelheim als Reservelazarett. Der 1810 begonnene Gebäudekomplex mit industrieller Nutzung und dem Ausflugslokal „Rittersaal“ mit 800 Plätzen war Haltepunkt der Biebertalbahn (Bieberlies). Zu Kriegsbeginn nutzte man den Windhof außerdem als Internierungslager für russische Badegäste aus Bad Nauheim.
Auswanderung nach Russland im 18. Jahrhundert
Die Landgrafschaft Hessen-Kassel im Norden wurde von der Auswanderungswelle nach Russland kaum erfasst. Der Landgraf erließ während der „kritischen“ Zeit gleich drei Auswanderungsverbote (1762, 1764, 1766)… und davor gab es auch schon einige. Dafür aber wurden die hinsichtlich Klima- und Bodenverhältnisse wenig begünstigten Gegenden in und um die hessischen Mittelgebirge südlich der Linie Gießen–Fulda vom „Russlandfieber“ umso mehr erfasst. Speziell die Odenwald- und Vogelsbergbewohner zog es in den Wilden Osten.
Rückwanderung ab 1989: Deutsche aus Russland
In Gießen gibt es eine Orts- und Kreisgruppe der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland. Im Landkries Gießen wohnen geschätzte 15.000 Russlanddeutsche. Die Vorsitzende ist seit zirka 2005 Rosa Tugova. Man organisiert immer wieder Veranstaltungen, die einen Bezug zu Russland haben. Und in der evangelischen Stephansgemeinde singt ein russlanddeutscher Chor. Homepages: lmdr.de, www.deutschausrussland.de, www.dar-giessen.de
Fernwald
Der Hessische Hof, erbaut um 1870, trug früher den Namen Russischer Hof und ist das älteste Gasthaus in Fernwald. Homepage: www.hessischer-hof-fernwald.de
Die Ermordung
Die „Gießener Schwarzen“, eine recht radikale Studentenverbindung in dunkler altdeutschen Tracht, nahmen 1817 am Wartburgfest teil und sollen irgendwie auch was mit dem Mord an dem Schriftsteller und russischen Generalkonsul August von Kotzebue zu tun gehabt haben. Die Obrigkeit reagierte wie immer vollkommen richtig... verbot alle Studentenverbindungen und nahmen Presse und Meinungsfreiheit an die kurze Leine.
Mannheim. Wir schreiben den 23. Mai 1819. Ein junger Mann namens Heinrichs, Theologiestudent, stattet dem Haus des Staatsmannes und Dichters August von Kotzebue einen nachmittäglichen Besuch ab. In Wirklichkeit ist es aber Karl Ludwig Sand (1795 bis 1820). Er zieht ein Messerchen aus dem Ärmel und sticht einen der erfolgreichsten Dichter der Trivialliteratur des 19. Jahrhunderts mit dem Dolch, drei Stichen und dem Worten „Du Verräter des Vaterlandes“ zu Tode. Beim anschließenden Selbstmordversuch ist er weniger erfolgreich. Er wird gesundgepflegt und anschließend mit einem Schwert geköpft. Auch im 19. Jahrhundert musste alles seine deutsche Ordnung haben! Der Pöbel ist begeistert. Man erklimmt die Hinrichtungsstätte, schneidet seine Haare ab und taucht Tücher ins Sand-Blut. Reliquiengewinnung eben! Die ganze Sache zog einen Rattenschwanz an literarischen Publikationen nach sich. Puschkin und Dumas sind nur die prominentesten.
Doch was war der Hintergrund der ganzen Chose? Die Französische Revolution. Plötzlich stellten auch viele deutsche Bürger fest, dass der Feudalismus im Vergleich zu Freiheit, Demokratie und deutscher abstank. Der Deutsche Bund entstand, Burschenschaften gründeten sich und man feierte das Woodstock des 19. Jahrhunderts auf der Wartburg mit einem Fest! Da waren die Ergebnisse des Wiener Kongresses, auf dem ja auch getanzt wurde, eine einzige große Enttäuschung. Die da oben – die von Gottes Gnaden Eingesetzten - wollten zurück zur Vergangenheit und nahmen das Attentat auf „ihren“ Feudalismus-Lobbyisten August von Kotzebue als Vorwand, um restriktiv gegen die eigenen Bürger vorgehen zu können. Damals waren das die Karlsbader Beschlüsse.
Die Idee zum „Tyrannenmord“ bezog Sand übrigens von einem gewissen Karl Follen. Das war der Schwager des Darmstädter Pharmazeuten Christian Merck. Follens Idee des „Tyrannenmordes“ führte übrigens dazu, dass er in Gießen eine Professorenstelle nicht bekam. Via Weimar, Frankreich und der Schweiz landete er schließlich in den USA, wo er schlussendlich ertrank. Bonmot am Rande: Sand behauptete immer, dass die theoretische Basis seines Mordes auf seinem eigenen Mist gewachsen sei.
Der Schipkapass
Die Restauration „Zum Schipkapass“ ist eines der traditionsreichen Gasthäuser in Gießen. Erbauen ließ es 1901 der Brauereibesitzer Ihring aus Lich. Der historisierende Fachwerkbau wurde mit seinem Türmchen auf die Ecksituation hin konzipiert. Die Bahnhofstraße ist in ihrem gesamten Verlauf von Bauten der Gründerzeit geprägt, sie war einst eine bevorzugte Wohn- und Geschäftsgegend. Die Kaplansgasse hingegen war noch lange Zeit eng und holprig, so dass sie bei Nacht und heftigem Regen schwer zu überschreiten war, ähnlich, so will es die Legende. wie der steinige Schipka-Pass zwischen Bulgarien und Ost-Rumänien, der anno 1877 im russisch-türkischen Krieg hart umkämpft war. Die wechselseitigen Niederlagen und Erfolge sollen in dieser Gaststätte heiß diskutiert worden sein. Literaturtipp: Boris Akunin und sein „Türkisches Gambit“
Buchweizen
Ein russisches Grundnahrungsmittel. WO bekommt man das in Gießen? Die angebotenen deutschen Varianten in den diversen Biomärkten sind ja geschmacklich suboptimal, um es höflich zu formulieren. Buchweizen, so wie Russen ihn kennen und lieben, findet sich im Turgut-Supermart in der Marburger Straße… und natürlich in den zwei „russischen“ Supermärkten.
Das Kriegsgefangenenlager an der Grünberger Straße
Bis zu 26.000 Menschen waren dort zeitweise gleichzeitig inhaftiert, ausgelegt war es nur für 15.000. Es waren Soldaten aus aller Welt: Aus Frankreich, Russland, Belgien, England, Schottland, Irland, Italien, Portugal, den USA und Kanada.
Alter Friedhof
Nr. 17: Die Urne, der Schild, der Helm und die Bücher auf dem Pfeilersockel erinnern an den Obristen Friedrich von Wrede (1741 bis 1805) und an den Hofgerichtsassessor Ludwig von Wrede (1783 bis 1826). Die Bücher sind dem Ludwig zuzuordnen. [Die Angabe auf den Infotafeln und in der Broschüre in Bezug auf das Todesjahr von Ludwig ist falsch. Er starb bereits 1806.] Friedrich Ludwig von Wrede, der Sohn von Ludwig Gottfried Carl de Wrede, wurde am 9. Februar 1741 in Klein-Linden geboren und getauft. Er heiratete 1777 Christiana Louisa El. Ad. von Löwenfeld (1751 bis 1784). Er war Major in russischen Diensten und verstarb am 25. März 1805 in Gießen. Friedrich und Christina hatten das Kind Ludwig Hermann Wilhelm von Wrede, das 1782 zur Welt kam und ledig 1806 in Gießen verstarb.
Chor der Ortsgruppe Gießen „Heimatklang“
Leiterin: Olga Kallasch
Universitäres
Juni 2014: 25 Jahre Uni-Partnerschaft Gießen und Kasan (Russland). Der Kasaner Rektor Prof. Ilshat Gafurov war mit einer 30-köpfigen Delegation angereist. Drei Tage lang feierten die Partner das Jubiläum. Die JLU unterhält sechs offizielle Partnerschaften zu ausländischen Hochschulen. Die mit Kasan ist besonders langlebig und aktiv. Die Partnerschaftskoordinatoren sind Prof. Michael Schmitz (Gießen) und Prof. Olga Ilianskaya (Kasan). Alle elf Fachbereiche der JLU sind in der Partnerschaft aktiv. Allein 2004-2014 waren über 800 Studierende, Promovierende und Wissenschaftler beider Seiten beteiligt. Die Justus-Liebig-Universität Gießen beteiligt sich Mitte Juni 2012 außerdem mit der Russland-Woche am Deutsch-Russischen Jahr der Bildung. Es gibt außerdem die Fachschaft Slavistik der JLU Gießen.
Das Deutsch-Russische Zentrum e.V.
Der Verein verfolgt vorwiegend die „Förderung der Völkerverständigung und eine erfolgreiche Integration“. Ansprechpartnerin ist Ludmilla Antonov. Homepage: www.drz-ev.de.
Deutsche aus Russland
Juli 2014: Die Wanderausstellung „Deutsche aus Russland. Geschichte und Gegenwart“ machte im Kulturzentrum vor Ort Station. Es wurde die 250-jährige Geschichte der Russlanddeutschen vom Manifest Katharinas II. vom 22. Juli 1763 bis zur heutigen Integration in Deutschland beleuchtet.
Russische Reisebüro Kolumb in Gießen
Es befindet sich in der Frankfurter Str. 10.
Die Brüder-Grimm-Schule
Man pflegt freundschaftliche Beziehungen zur Partnerschule in Saratov. 2012 waren Saratover vor Ort. Im März 2014 waren erneut 11 Schüler und zwei Lehrer aus Saratov in Gießen. Vier davon waren bereits 2012 hier.
Zwangsarbeit 1939 bis 1945
Am Universitätsklinikum waren zumindest zwölf kriegsgefangene Frauen aus Russland in der Hauswirtschaft tätig. Eine weitere russische Person war im Pflegebereich tätig.
Der neue Friedhof und das Denkmal für verstorbene Kriegsgefangene
Hier findet man eine ganze Menge Gedenktafeln für russische Soldaten. In Gießen war ja ein großes Kriegsgefangenenlager.
Friedrich Peppler
Der Mann wurde 1789 in Großen-Linden geboren und machte intime Bekanntschaft mit Russland, seinen Bewohnern und den lokalen Eigenheiten. Als Soldat in napoleonischen Diensten verschlug es ihn 1812 bis nach Moskau. In der heute weißrussischen Stadt Smarhon / Smorgon / Smorgonie geriet er in russische Gefangenschaft und wurde über Minsk und Tambov nach Saratov geführt, bevor er in Kamyschin „sesshaft“ wurde. Die Gefangenschaft dauerte knapp zwei Jahre. Äußerst lesenswert ist sein Konvolut „Schilderung meiner Gefangenschaft in Russland 1812 bis 1814“. Speziell der Hinweg war ein permanenter Kampf ums Überleben… den ein Großteil seiner Kameraden verlor. Die neueste Auflage stammt aus 2011.
Russische Studierende in Gießen
Immer wieder mal verschlägt es den einen oder die andere Russin nach Gießen, um hier höhere wissenschaftliche Weihen zu erlangen. Die Hochzeiten der russländischen Studierendenschaft sind aber längst vorbei. Es war die Zeit so zwischen 1900 und dem Beginn des Ersten Weltkrieges, als der „russische Student“ als Synonym für den „ausländischen Studierenden“ herhalten musste. So um die acht Prozent waren das. Bei ungefähr 1.500 Studierenden als knapp über hundert Personen.
1905/1906 sind 30 russische Studierende immatrikuliert. Im Sommersemester 1906 sind es 46… und vier Hospitantinnen – denn Frauen durften damals noch nicht „offiziell“ studieren. Mit „russischen Studenten“ wurden damals die Russen jüdischen Glaubens, die in Gießen vor allem Medizin und Philosophie studierten. Sie flohen vor allem vor den Repressalien in der Heimat. Ab 1911 erschwerte auch das liberale Hessen die Zugangsbedingungen für diese Studierenden etwas. Zu einheitlichen Regeln kam es aber nicht. In Gießen war der Rektor endverantwortlich… und jede Fakultät legte andere Maßstäbe an. Die Chemiker und Philosophen hatten es leichter, die Mediziner etwas schwerer. An 1910 sinken die Zahlen… und ab 1914 ist die Welt sowieso eine andere.
Russische Vorkämpferinnen
Um 1900 waren studierende Frauen in Gießen noch nicht erlaubt. Die erste Hospitantin an der Uni (Philosophische Fakultät) kam im Sommersemester 1901 aus Russland. Die erste Frau, die an der Ludoviciana studiert hat, war also eine Russin. Ein Jahr später kamen fünf weitere Frauen aus Russland dazu. Im Sommer 1906 kamen dann vier und im Winter 1906/1907 noch mal fünf Russinnen. Im Sommer 1907 war es eine Russin und im Winter 1907/1908 gleich zehn.
Ab 1908 ist es den Frauen möglich, sich als ordentliche Hörerinnen zu immatrikulieren. Im Wintersemester 1908/09 schrieben sich die ersten 23 Studentinnen an der Ludoviciana ein - allesamt Russinnen!
Im Wintersemester 1910/191 hatte die Ludoviciana 32 Studentinnen, von denen 25 aus dem Ausland kamen… und weit mehr als die Hälfte aus dem Zarenreich. Warum war das so? In der Heimat war ihnen das Studieren verboten. Frau wich auf die Schweiz aus. Als der Zar ein Gesetz erließ, dass das auch illegal sei – wegen dem Revolutionären und so – wich Frau auf Deutschland aus. Besucht wurden vor allem die Medizin und die Philosophische Fakultät. Über Studienerfolge der Damen gibt es keine Daten. Nach Charlotte von Siebold (1819) erhielt aber eine gewisse Vera Kiriltschevskij, 1881 in Odessa geboren, 1904 den Grad einer „femina doctissima“ in Chemie.
Feindbilder
Ab 1914 mussten die russischen Studierenden dann als Feindbild herhalten. In Gießen kursierte das Gerücht, russische Studierende und Assistenten würden das städtische Trinkwasser vergiften. Was sich als falsch herausstellte, aber das Klima war vergiftet. Russische Studierende wurden exmatrikuliert und Neuimmatrikulationen nicht zugelassen. Mitte 1914 müssen 33 Russen – darunter vier Frauen – die Gießener Uni verlassen. Nicht einmal der Russin, die kurz vor ihrer Promotion stand und die sich als „Deutsch“ bezeichnete, wurde eine Schonfrist eingeräumt. Und das Volk denunziert fleißig. Eine anonyme Anzeige vom November 1914 wies darauf hin, dass in einer Philosophievorlesung eine Russin sitzen würde. Auch der russische Assistenzarzt Regensburger musste seine Stelle aufgeben. Gewisse Unsicherheiten gab es in Bezug auf Studierende aus dem Baltikum und der Ukraine. Einzelne Anträge wurden zwar gestellt, aber durchwegs ablehnend beantwortet. Man konnte es der deutschen Frau und dem deutschen Mann nicht zumuten, vom „Feind“ betreut zu werden… und wenn einmal einer da wäre, dann würden die Massen bald folgen, und die könne man dann eben nicht mehr ablehnen, wegen dem einen ersten und so. Also alte Argument, die im neuen Kleid bei der EU-Osterweiterung….
Zusammenfassung
Zwischen 1900 und 1914 waren über 60 Prozent der ausländischen Studierenden in Gießen aus Russland. Bei den Frauen waren es sogar 93 Prozent!
Die Zwischenkriegszeit
Es kamen kaum mehr russische Studierende nach Gießen. Frauen konnten nun auch in Russland studieren, neue Länder waren entstanden, Nationalismus der Zeitgeist der Stunde… 1919 lehnte die Ludoviciana das Studienansuchen von fünf und zwölf Russen (sieben davon als „Polen“ bezeichnet) ab. Offizielle Begründung: Überfüllung. Inoffizieller Grund: Es sollen nur deutschsprachige Ausländer aufgenommen werden. In den 1920er-Jahren sind nur mehr rund fünf Prozent der ausländischen Studierenden aus Russland.
Aspekte des russischen Hessens
Wohin fuhr der mondäne Moskauer oder Petersburger um 1900? Nach Deutschland. Auf Kur. Wiesbaden, Bad Homburg, Bad Soden, Bad Nauheim… Und er konnte unter sich bleiben, im Hotel de Russie übernachten, den Sonntagsgottesdienst in orthodoxen Kirchen besuchen und sich mit seinesgleichen unterhalten. Und informieren konnte man sich über das Badegeschehen in „Anna Karenina“.
Und noch etwas entwickelte sich ab zirka 1840 in den Badestädte Hessen: Casinos bzw. Spielbanken! Darüber kann man sich bei Dostoevskij und seinem „Der Spieler“ klug machen. Via Wiesbadener Badeurlaub lernte Fjodor das Roulette kennen… und wurde spielsüchtig. Was für ein toller Kurerfolg!
Bad Nauheim und Friedberg
1910 waren Zar Nikolaus II. und Zarin Alexandra Feodorowna - sie war eine Schwester des regierenden Großherzogs von Hessen - von Russland in Bad Nauheim und auf Burg Friedberg zu Besuch. Man reiste mit dem halben Hofstaat an: Den Sommer des Jahres 1910 verbrachte die russische Zarin Alexandra mit ihrer Familie und rund 140 Personen im Gefolge in Hessen, um sich in Bad Nauheim einer Bade- und Trinkkur zu unterziehen. Grund waren ein Herzleiden und die Nervosität ihrer Majestät. Auch der Zar und die beiden ältesten Töchter beteiligten sich an der Trinkkur. Quartier nahm die Zarenfamilie in der Friedberger Burg, schätzte aber in Bad Nauheim die angenehmen Erholungs- und Einkehrstätten wie Badehäuser, den Kurpark, Tennisplätze und die Natur am Johannisberg. Auch besuchten sie gerne den Gottesdienst in der 1908 zur Russischen Kirche umgewandelten Reinhardskirche. Es wird berichtet, dass der Zar nach einem solchen Besuch seinen Gehrock und Zylinder mit einem kurzen Jackett und Filzhut vertauschte, um sich seinen Bewachern zu entziehen und nur mit seinem Leibarzt und Adjutanten durch den Kurpark bis zum Johannisberg zu spazieren. Der Aufenthalt in Bad Nauheim war für Zarin Alexandra so erfolgreich, dass sie auf eine geplante Winterkur im Süden verzichten konnte. Eine Gedenktafel an der Westwand der Kirche erinnert an das Ereignis.
Die russisch-orthodoxe Gemeinde von Bad Nauheim, die vor dem Ersten Weltkrieg aufgrund der vielen russischen Kurgäste bedeutend war, nutzte seit 1907 die Reinhardskirche. Waren es 1869 noch 112 Personen aus Russland (15,3 % aller ausländischen Gäste), so betrug ihre Zahl 1897 bereits 1696 Personen, 1898 waren es 2027 Personen, 1899 schon 2401 Personen, 1900 genau 2239 Personen, 1901 schon 2267 Personen und 1902 waren es 2540 Personen. Im Jahre 1912 stellten die Russen mit 4533 Personen 45,05 % aller ausländischen Kurgäste. Der Bedarf für eine russisch-orthodoxe Kirche für die Kurgäste aus Russland in der Stadt war deshalb erheblich.
Aufgeregte russische Kurgäste in Bad Nauheim
[…]Aus Bad-Nauheim, wo sich etwa 6000 russische Kurgäste befinden, wird der „Kl. Presse“ berichtet, daß es dort am Samstag sehr lebhaft zugegangen ist, daß sich namentlich die Russen in sehr großer Aufregung befunden haben. Das gegenwärtig wenig günstige Wetter und der drohende Krieg werden, so befürchtet man, die Saison im ungünstigen Sinne beeinflussen. Man hofft aber, daß die glänzenden Nauheimer Kurerfolge doch die meisten veranlassen werden, dort zu bleiben. (Darmstädter Zeitung, 27. Juli 1914)
Aleksandr Blok 1915
„Außerdem fuhr ich eigentümlicherweise alle sechs Jahre nach Bad Nauheim (Hessen-Nassau), an das mich besondere Erinnerungen binden. In diesem Frühjahr (1915) hätte ich zum vierte Mal dorthin reisen sollen; doch in die persönliche und niedere Mystik meiner Reisen nach Bad Nauheim mischte sich die allgemeine und höhere Mystik des Krieges.“ Juni 1915. Es war die Liebe von 1897, von der Blok da plaudert. Daher die Erklärung auf Französisch: „C'est au cours d'une cure à Bad Nauheim avec sa mère, alors qu'il a dix-sept ans, qu'il tombe amoureux d'une jeune fille — Xenia M. Sadovskaja — pour la première fois. Cet amour platonique adolescent devient la source d'inspiration de plusieurs poèmes.“ Die Frau war übrigens doppelt so alt wie der adoleszente Aleksandr.
Bad Salzschlirf
Die russische Hochfinanz weilte gerne und oft in Bad Salzschlirf. Zur russischen Hochfinanz war auch der Finanzminister Zar Nikolaus II. zu zählen. Er verschwand dann allerdings vier Tage vor der russischen Mobilmachung aus Bad Salzschlirf ohne jegliches Aufsehen.
Bad Soden am Taunus
Bad Soden-Besucher Leo Tolstoi hat der Stadt durch die Erwähnung in "Anna Karenina" ein literarisches Denkmal gesetzt. Weitere Namen in der Prominenten-Liste der Komponisten sind Pjotr Tschaikovskij und Ivan Turgenev.
Wiesbaden
Illustre Kurgäste waren Großfürstin Katharina, die Schwester Zar Alexanders I., die 1814 in der Stadt weilte, oder der mit Maria Pawlowna, Tochter Zar Pauls I., verheiratete Carl Friedrich Herzog von Sachsen-Weimar. Auch im Vorfeld der Heirat Herzog Adolfs mit Großfürstin Elisabeth Michailovna herrschte reger diplomatischer Verkehr in der Stadt: Hofdamen der Zarin, Kammerherren und andere Beamte des Zarenhofes stiegen in Wiesbadener Hotels ab.
Der russische Kaiser Zar Nikolaus I. selbst stattete Herzog Adolf 1840 in seiner Residenz Biebrich einen Staatsbesuch ab. Und in den Jahren danach konnten die Wiesbadener Gazetten noch zweimal den russischen Herrscher begrüßen: Zar Nikolaus II. besichtigte 1896 mit seiner Familie die russische Kirche und traf 1903 mit Kaiser Wilhelm II. und dem Großherzog von Hessen zusammen.
Das russische Gießen
Die russischen Spuren in Gießen sind von feiner Klinge… also etwas schwer zu finden. Und doch gibt es sie. Massig!
Il'ja Il'itsch Metschnikov / Илья Ильич Мечников
Der Medizin-Nobelpreisträger studierte 1864 und 1865 in Gießen. Ja, Tolstoj lässt grüßen! Info: Wikipedia.
Franz Ludwig Cancrin
Der Baumeister und Schriftsteller wurde 1738 in Bieber / Gelnhausen geboren und verstarb 1816 in Sankt Petersburg. Der Franz leitete Gruben im Hessischen. Nach seiner Pensionierung ging er 1784 nach Russland und machte eine zweite Karriere. Er wurde Direktor der russischen Salzwerke in Staraja-Rusa bei Novgorod, 1798 Kaiserlich-Russischer Staatsrat, bekam ein Haus in Sankt Petersburg als Geschenk und wurde 1812 pensioniert. Der Franz war der Nachfolger vom Generalleutnant Bauer, der auch aus seiner Gegend kam. Er schenkte der Nachwelt sein zwölfbändiges „Grundzüge der Berg- und Salzwerkskunde“ aus 1773 bis 1791, das in Gießen entstand und mit 1788 datiert ist. Hier lebte er mehrere Jahre - vollbezahlter Urlaub – zur Wiederherstellung seiner Gesundheit Ja, er war mit dem Georg verwandt. Der Georg war sein Sohn!
Georg Cancrin
Graf Georg Ludwig Cancrin wurde 1774 in Hanau geboren, studierte 1790 bis 1794 Recht und Politik in Gießen und wurde später russischer General und Finanzminister. Er lobte seine Studienstadt aber nicht besonders. Er starb 1845 in Pavlovsk bei Sankt Petersburg. 1796 folgte er seinem Vater nach Russland und arbeitete als dessen Gehilfe, später dann im Ministerium des Inneren und in der Militärverwaltung. Er schrieb ein Werk über „Die Verpflegung der Truppen“. Und schon war er Adjutant des Generalproviantmeisters, Generalmajor, Generalintendant der Westarmee und schlussendlich Generalintendant sämtlicher aktiver Armeen. Innerrussischen Intrigen konnte er trotzen und wurde 1823 zum Finanzminister befördert… und machte es wie ein Herr W. Schäuble. Er brachte Ordnung in die Finanzen und sparte das Land halb zu Tode… und machte es wie Putin, setzte voll auf die Staatsindustrie, unterdrückte Kritik und alles Private und begünstigte ihm genehme Unternehmen. Er war also verantwortlich, dass Russland ein Industriestaat wurde. 1844 endete seine steile Karriere. Er starb 1845.
Münchholzhausen
Im Jahre 1814 – Napoleon hatte vorher halb Europa besetzt - war ein Kosakenregiment des 1. Kaiserlichen Russischen Armeekorps einquartiert und zunächst als Verbündete von den Einwohnern geachtet. Dies änderte sich am 2. Juli 1814, als ein Kosake versuchte eine Bewohnerin des Dorfes zu vergewaltigen. Der Ehemann der Frau erschlug den Soldaten. Eine hochbrisante Lage entstand: Münchholzhausen sollte von den Kosaken zerstört werden. Nur der flehentlichen Bitte – dem sogenannten „Kniefall“ - der dort wohnenden Gräfin zu Sayn-Wittgenstein vor dem russischen Kommandeur war es zu verdanken, dass dieser Gnade walten ließ. Es musste jedoch ein Blutzoll von einem Taler pro Haus in die Regimentskasse eingezahlt werden.
Adolf Ludwig Grolman
Der Jurist wurde 1722 geboren und verstarb 1795 in Gießen. Sein Sohn Ludwig (1777 bis 1813) fiel als Oberstleutnant im damals russischen Vilnius.
Carl Heinrich Merck
Der Arzt, Entdecker und Naturforscher wurde 1761 in Darmstadt geboren, studierte in Gießen und starb 1799 an einem Schlaganfall in Sankt Petersburg. Er war unter anderem Hofrat in Sankt Petersburg, Arzt in Irkutsk, 1788 bis 1791 Verfasser eines Tagebuches während seiner Teilnahme an der Billings-Saryčev-Expedition nach Kamčatka, die Alëuten, Alaska und auf die Čukotka-Halbinsel. Der Nachwelt hinterließ er „Das sibirisch-amerikanische Tagebuch aus den Jahren 1788 bis 1791“.
Seine Tochter Sophie (1797 bis 1872) war verheiratet mit Friedrich August Kabisch, Besitzer einer chemischen Fabrik in Sankt Petersburg. Sein Sohn war Friedrich Karl Wolfgang (1799 bis 1857), Apotheker in Sankt Petersburg.
Ludwig IV. Großherzog von Hessen und bei Rhein
Der Offizier wurde 1837 in Bessungen geboren und starb 1892 in Darmstadt. Er studierte 1857 in Gießen. Seine Tochter Elisabeth wurde die Heilige Elisaveta Feodorovna, die mit dem Großfürsten Sergej Aleksandrovič verheiratet war. Sie lebte von 1864 bis 1918 und fand ihren Tod in Ekaterinburg. Ihr Mann lebte von 1857 bis 1905 und wurde ebenfalls ermordet.
Die Tochter Alix beziehungsweise Aleksandra Feodorovna (1872 bis 1918) brachte es sogar zur russischen Zarin. Sie war ab 1894 mit Zar Nikolaus II (1868 bis 1918) verheiratet.
Kollektiver Lulu und Gießener Räuber
Auch der Professor der Medizin, Chemie und Mineralogie, Johann Wilhelm Baumer, der von 1719 bis 1788 lebte, hängt heute noch in der universitären Professorengalerie herum. Er kam 1764 nach Gießen. In seiner Eigenschaft als Botaniker machte er sich nun mit seinen Studenten auf den Weg, um die Flora der Umgebung zu erkunden… und versetzte damit die Bauern in helle Aufruhr. Sie waren nämlich der Meinung, dass die Gruppe nur die allseits gesuchte lokale Räuberbande sein konnte, die hier ihr Unwesen trieb. Den Professor kostete es nicht geringe Mühe, die Agrarier vom Gegenteil zu überzeugen.
Und als in der Gießener Gegend eine nicht näher definierte Krankheit umging, veranlasste Johann, dass man von den Landbewohnern eine Urinprobe zog, damit er dieselbe genauer unter die Lupe nehmen könne. Nichts einfacher als das. Am nächsten Morgen stand vor seiner Tür ein großes Fass mit dem gesammelten Urin der Landbewohner!
Zu erwähnen ist noch, dass der Johann mit dem Johann Wilhelm Christian einen Neffen UND Schwiegersohn hatte, der von 1753 bis 1829 lebte, ab 1775 in Gießen Medizin studierte und 1809 nach Russland ging, wo er in Sankt Petersburg und Riga als Militärarzt tätig war. 1824 wurde er sogar in den Adelsstand erhoben. Christians Sohn Karl Friedrich Albrecht VON Baumer lebte von 1787 bis 1839, wurde in Nidda geboren, studierte in Gießen verschiedene naturwissenschaftliche Fächer, ging mit seinen Eltern nach Russland und starb 1839 im Dienste der russischen Armee in Tiflis.
Der russische Hof
Er stand oberhalb der katholischen Kirche auf dem Seltersberg. Auf der Homepage der Teutonia findet sich ein Foto aus 1841.
Die Orthodoxie in Gießen
Die Gemeinde der russischen orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchates der Stadt Gießen wurde 2007 gegründet. Es ist eine Gemeinde zu Ehren der Shirovizer Gottesmutterikone. Gottesdienste werden in der evangelischen Pauluskirche abgehalten. Pfarrer ist der Priestermönch Kyprian (Heinrich). Homepage: www.giessen.orthodoxy.ru.
„Russische“ Supermärkte
Wer Sehnsucht nach russischen Produkten hat, der findet sie in Gießen vor allem im Mixmarkt im Bantzerweg 1 und im Rimax in der Rodheimerstr 63. Der Mixmarkt ist eine Kette, die europaweit agiert. Der Rimax fungiert unter „osteuropäische Spezialitäten“. Da sich die russische Seele zum Entspannen gerne in einfache kubische Formen zurückzuziehen scheint, kleben an den Märkten noch diverse Fastfoodstände, Reisebüros, Konzertagenturen und Souvenirläden dran, was das ästhetische Auge eines Zentraleuropäers leicht irritieren kann. Ein im Internet kolportiertes „Valeria“ in der Liebigstraße 88 und ein „Rovial“ in Wingert 17 konnten 2015 nicht gefunden werden.
Przewalski-Pferde im Europaviertel
Jenseits des Gießener Ringes und mitten in einem Waldgebiet, da lag einst die Steubenkaserne. Heute sind dort ein Industriepark, eine Kunstallee, ein Solarkraftwerk… und eine kleine Herde Przewalski-Pferde als „Rasenmäher“.
Heuchelheim 1914
Für die mit Lazarettzügen in Gießen ankommenden Verwundeten diente zunächst der Windhof in Heuchelheim als Reservelazarett. Der 1810 begonnene Gebäudekomplex mit industrieller Nutzung und dem Ausflugslokal „Rittersaal“ mit 800 Plätzen war Haltepunkt der Biebertalbahn (Bieberlies). Zu Kriegsbeginn nutzte man den Windhof außerdem als Internierungslager für russische Badegäste aus Bad Nauheim.
Auswanderung nach Russland im 18. Jahrhundert
Die Landgrafschaft Hessen-Kassel im Norden wurde von der Auswanderungswelle nach Russland kaum erfasst. Der Landgraf erließ während der „kritischen“ Zeit gleich drei Auswanderungsverbote (1762, 1764, 1766)… und davor gab es auch schon einige. Dafür aber wurden die hinsichtlich Klima- und Bodenverhältnisse wenig begünstigten Gegenden in und um die hessischen Mittelgebirge südlich der Linie Gießen–Fulda vom „Russlandfieber“ umso mehr erfasst. Speziell die Odenwald- und Vogelsbergbewohner zog es in den Wilden Osten.
Rückwanderung ab 1989: Deutsche aus Russland
In Gießen gibt es eine Orts- und Kreisgruppe der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland. Im Landkries Gießen wohnen geschätzte 15.000 Russlanddeutsche. Die Vorsitzende ist seit zirka 2005 Rosa Tugova. Man organisiert immer wieder Veranstaltungen, die einen Bezug zu Russland haben. Und in der evangelischen Stephansgemeinde singt ein russlanddeutscher Chor. Homepages: lmdr.de, www.deutschausrussland.de, www.dar-giessen.de
Fernwald
Der Hessische Hof, erbaut um 1870, trug früher den Namen Russischer Hof und ist das älteste Gasthaus in Fernwald. Homepage: www.hessischer-hof-fernwald.de
Die Ermordung
Die „Gießener Schwarzen“, eine recht radikale Studentenverbindung in dunkler altdeutschen Tracht, nahmen 1817 am Wartburgfest teil und sollen irgendwie auch was mit dem Mord an dem Schriftsteller und russischen Generalkonsul August von Kotzebue zu tun gehabt haben. Die Obrigkeit reagierte wie immer vollkommen richtig... verbot alle Studentenverbindungen und nahmen Presse und Meinungsfreiheit an die kurze Leine.
Mannheim. Wir schreiben den 23. Mai 1819. Ein junger Mann namens Heinrichs, Theologiestudent, stattet dem Haus des Staatsmannes und Dichters August von Kotzebue einen nachmittäglichen Besuch ab. In Wirklichkeit ist es aber Karl Ludwig Sand (1795 bis 1820). Er zieht ein Messerchen aus dem Ärmel und sticht einen der erfolgreichsten Dichter der Trivialliteratur des 19. Jahrhunderts mit dem Dolch, drei Stichen und dem Worten „Du Verräter des Vaterlandes“ zu Tode. Beim anschließenden Selbstmordversuch ist er weniger erfolgreich. Er wird gesundgepflegt und anschließend mit einem Schwert geköpft. Auch im 19. Jahrhundert musste alles seine deutsche Ordnung haben! Der Pöbel ist begeistert. Man erklimmt die Hinrichtungsstätte, schneidet seine Haare ab und taucht Tücher ins Sand-Blut. Reliquiengewinnung eben! Die ganze Sache zog einen Rattenschwanz an literarischen Publikationen nach sich. Puschkin und Dumas sind nur die prominentesten.
Doch was war der Hintergrund der ganzen Chose? Die Französische Revolution. Plötzlich stellten auch viele deutsche Bürger fest, dass der Feudalismus im Vergleich zu Freiheit, Demokratie und deutscher abstank. Der Deutsche Bund entstand, Burschenschaften gründeten sich und man feierte das Woodstock des 19. Jahrhunderts auf der Wartburg mit einem Fest! Da waren die Ergebnisse des Wiener Kongresses, auf dem ja auch getanzt wurde, eine einzige große Enttäuschung. Die da oben – die von Gottes Gnaden Eingesetzten - wollten zurück zur Vergangenheit und nahmen das Attentat auf „ihren“ Feudalismus-Lobbyisten August von Kotzebue als Vorwand, um restriktiv gegen die eigenen Bürger vorgehen zu können. Damals waren das die Karlsbader Beschlüsse.
Die Idee zum „Tyrannenmord“ bezog Sand übrigens von einem gewissen Karl Follen. Das war der Schwager des Darmstädter Pharmazeuten Christian Merck. Follens Idee des „Tyrannenmordes“ führte übrigens dazu, dass er in Gießen eine Professorenstelle nicht bekam. Via Weimar, Frankreich und der Schweiz landete er schließlich in den USA, wo er schlussendlich ertrank. Bonmot am Rande: Sand behauptete immer, dass die theoretische Basis seines Mordes auf seinem eigenen Mist gewachsen sei.
Der Schipkapass
Die Restauration „Zum Schipkapass“ ist eines der traditionsreichen Gasthäuser in Gießen. Erbauen ließ es 1901 der Brauereibesitzer Ihring aus Lich. Der historisierende Fachwerkbau wurde mit seinem Türmchen auf die Ecksituation hin konzipiert. Die Bahnhofstraße ist in ihrem gesamten Verlauf von Bauten der Gründerzeit geprägt, sie war einst eine bevorzugte Wohn- und Geschäftsgegend. Die Kaplansgasse hingegen war noch lange Zeit eng und holprig, so dass sie bei Nacht und heftigem Regen schwer zu überschreiten war, ähnlich, so will es die Legende. wie der steinige Schipka-Pass zwischen Bulgarien und Ost-Rumänien, der anno 1877 im russisch-türkischen Krieg hart umkämpft war. Die wechselseitigen Niederlagen und Erfolge sollen in dieser Gaststätte heiß diskutiert worden sein. Literaturtipp: Boris Akunin und sein „Türkisches Gambit“
Buchweizen
Ein russisches Grundnahrungsmittel. WO bekommt man das in Gießen? Die angebotenen deutschen Varianten in den diversen Biomärkten sind ja geschmacklich suboptimal, um es höflich zu formulieren. Buchweizen, so wie Russen ihn kennen und lieben, findet sich im Turgut-Supermart in der Marburger Straße… und natürlich in den zwei „russischen“ Supermärkten.
Das Kriegsgefangenenlager an der Grünberger Straße
Bis zu 26.000 Menschen waren dort zeitweise gleichzeitig inhaftiert, ausgelegt war es nur für 15.000. Es waren Soldaten aus aller Welt: Aus Frankreich, Russland, Belgien, England, Schottland, Irland, Italien, Portugal, den USA und Kanada.
Alter Friedhof
Nr. 17: Die Urne, der Schild, der Helm und die Bücher auf dem Pfeilersockel erinnern an den Obristen Friedrich von Wrede (1741 bis 1805) und an den Hofgerichtsassessor Ludwig von Wrede (1783 bis 1826). Die Bücher sind dem Ludwig zuzuordnen. [Die Angabe auf den Infotafeln und in der Broschüre in Bezug auf das Todesjahr von Ludwig ist falsch. Er starb bereits 1806.] Friedrich Ludwig von Wrede, der Sohn von Ludwig Gottfried Carl de Wrede, wurde am 9. Februar 1741 in Klein-Linden geboren und getauft. Er heiratete 1777 Christiana Louisa El. Ad. von Löwenfeld (1751 bis 1784). Er war Major in russischen Diensten und verstarb am 25. März 1805 in Gießen. Friedrich und Christina hatten das Kind Ludwig Hermann Wilhelm von Wrede, das 1782 zur Welt kam und ledig 1806 in Gießen verstarb.
Chor der Ortsgruppe Gießen „Heimatklang“
Leiterin: Olga Kallasch
Universitäres
Juni 2014: 25 Jahre Uni-Partnerschaft Gießen und Kasan (Russland). Der Kasaner Rektor Prof. Ilshat Gafurov war mit einer 30-köpfigen Delegation angereist. Drei Tage lang feierten die Partner das Jubiläum. Die JLU unterhält sechs offizielle Partnerschaften zu ausländischen Hochschulen. Die mit Kasan ist besonders langlebig und aktiv. Die Partnerschaftskoordinatoren sind Prof. Michael Schmitz (Gießen) und Prof. Olga Ilianskaya (Kasan). Alle elf Fachbereiche der JLU sind in der Partnerschaft aktiv. Allein 2004-2014 waren über 800 Studierende, Promovierende und Wissenschaftler beider Seiten beteiligt. Die Justus-Liebig-Universität Gießen beteiligt sich Mitte Juni 2012 außerdem mit der Russland-Woche am Deutsch-Russischen Jahr der Bildung. Es gibt außerdem die Fachschaft Slavistik der JLU Gießen.
Das Deutsch-Russische Zentrum e.V.
Der Verein verfolgt vorwiegend die „Förderung der Völkerverständigung und eine erfolgreiche Integration“. Ansprechpartnerin ist Ludmilla Antonov. Homepage: www.drz-ev.de.
Deutsche aus Russland
Juli 2014: Die Wanderausstellung „Deutsche aus Russland. Geschichte und Gegenwart“ machte im Kulturzentrum vor Ort Station. Es wurde die 250-jährige Geschichte der Russlanddeutschen vom Manifest Katharinas II. vom 22. Juli 1763 bis zur heutigen Integration in Deutschland beleuchtet.
Russische Reisebüro Kolumb in Gießen
Es befindet sich in der Frankfurter Str. 10.
Die Brüder-Grimm-Schule
Man pflegt freundschaftliche Beziehungen zur Partnerschule in Saratov. 2012 waren Saratover vor Ort. Im März 2014 waren erneut 11 Schüler und zwei Lehrer aus Saratov in Gießen. Vier davon waren bereits 2012 hier.
Zwangsarbeit 1939 bis 1945
Am Universitätsklinikum waren zumindest zwölf kriegsgefangene Frauen aus Russland in der Hauswirtschaft tätig. Eine weitere russische Person war im Pflegebereich tätig.
Der neue Friedhof und das Denkmal für verstorbene Kriegsgefangene
Hier findet man eine ganze Menge Gedenktafeln für russische Soldaten. In Gießen war ja ein großes Kriegsgefangenenlager.
Friedrich Peppler
Der Mann wurde 1789 in Großen-Linden geboren und machte intime Bekanntschaft mit Russland, seinen Bewohnern und den lokalen Eigenheiten. Als Soldat in napoleonischen Diensten verschlug es ihn 1812 bis nach Moskau. In der heute weißrussischen Stadt Smarhon / Smorgon / Smorgonie geriet er in russische Gefangenschaft und wurde über Minsk und Tambov nach Saratov geführt, bevor er in Kamyschin „sesshaft“ wurde. Die Gefangenschaft dauerte knapp zwei Jahre. Äußerst lesenswert ist sein Konvolut „Schilderung meiner Gefangenschaft in Russland 1812 bis 1814“. Speziell der Hinweg war ein permanenter Kampf ums Überleben… den ein Großteil seiner Kameraden verlor. Die neueste Auflage stammt aus 2011.
Russische Studierende in Gießen
Immer wieder mal verschlägt es den einen oder die andere Russin nach Gießen, um hier höhere wissenschaftliche Weihen zu erlangen. Die Hochzeiten der russländischen Studierendenschaft sind aber längst vorbei. Es war die Zeit so zwischen 1900 und dem Beginn des Ersten Weltkrieges, als der „russische Student“ als Synonym für den „ausländischen Studierenden“ herhalten musste. So um die acht Prozent waren das. Bei ungefähr 1.500 Studierenden als knapp über hundert Personen.
1905/1906 sind 30 russische Studierende immatrikuliert. Im Sommersemester 1906 sind es 46… und vier Hospitantinnen – denn Frauen durften damals noch nicht „offiziell“ studieren. Mit „russischen Studenten“ wurden damals die Russen jüdischen Glaubens, die in Gießen vor allem Medizin und Philosophie studierten. Sie flohen vor allem vor den Repressalien in der Heimat. Ab 1911 erschwerte auch das liberale Hessen die Zugangsbedingungen für diese Studierenden etwas. Zu einheitlichen Regeln kam es aber nicht. In Gießen war der Rektor endverantwortlich… und jede Fakultät legte andere Maßstäbe an. Die Chemiker und Philosophen hatten es leichter, die Mediziner etwas schwerer. An 1910 sinken die Zahlen… und ab 1914 ist die Welt sowieso eine andere.
Russische Vorkämpferinnen
Um 1900 waren studierende Frauen in Gießen noch nicht erlaubt. Die erste Hospitantin an der Uni (Philosophische Fakultät) kam im Sommersemester 1901 aus Russland. Die erste Frau, die an der Ludoviciana studiert hat, war also eine Russin. Ein Jahr später kamen fünf weitere Frauen aus Russland dazu. Im Sommer 1906 kamen dann vier und im Winter 1906/1907 noch mal fünf Russinnen. Im Sommer 1907 war es eine Russin und im Winter 1907/1908 gleich zehn.
Ab 1908 ist es den Frauen möglich, sich als ordentliche Hörerinnen zu immatrikulieren. Im Wintersemester 1908/09 schrieben sich die ersten 23 Studentinnen an der Ludoviciana ein - allesamt Russinnen!
Im Wintersemester 1910/191 hatte die Ludoviciana 32 Studentinnen, von denen 25 aus dem Ausland kamen… und weit mehr als die Hälfte aus dem Zarenreich. Warum war das so? In der Heimat war ihnen das Studieren verboten. Frau wich auf die Schweiz aus. Als der Zar ein Gesetz erließ, dass das auch illegal sei – wegen dem Revolutionären und so – wich Frau auf Deutschland aus. Besucht wurden vor allem die Medizin und die Philosophische Fakultät. Über Studienerfolge der Damen gibt es keine Daten. Nach Charlotte von Siebold (1819) erhielt aber eine gewisse Vera Kiriltschevskij, 1881 in Odessa geboren, 1904 den Grad einer „femina doctissima“ in Chemie.
Feindbilder
Ab 1914 mussten die russischen Studierenden dann als Feindbild herhalten. In Gießen kursierte das Gerücht, russische Studierende und Assistenten würden das städtische Trinkwasser vergiften. Was sich als falsch herausstellte, aber das Klima war vergiftet. Russische Studierende wurden exmatrikuliert und Neuimmatrikulationen nicht zugelassen. Mitte 1914 müssen 33 Russen – darunter vier Frauen – die Gießener Uni verlassen. Nicht einmal der Russin, die kurz vor ihrer Promotion stand und die sich als „Deutsch“ bezeichnete, wurde eine Schonfrist eingeräumt. Und das Volk denunziert fleißig. Eine anonyme Anzeige vom November 1914 wies darauf hin, dass in einer Philosophievorlesung eine Russin sitzen würde. Auch der russische Assistenzarzt Regensburger musste seine Stelle aufgeben. Gewisse Unsicherheiten gab es in Bezug auf Studierende aus dem Baltikum und der Ukraine. Einzelne Anträge wurden zwar gestellt, aber durchwegs ablehnend beantwortet. Man konnte es der deutschen Frau und dem deutschen Mann nicht zumuten, vom „Feind“ betreut zu werden… und wenn einmal einer da wäre, dann würden die Massen bald folgen, und die könne man dann eben nicht mehr ablehnen, wegen dem einen ersten und so. Also alte Argument, die im neuen Kleid bei der EU-Osterweiterung….
Zusammenfassung
Zwischen 1900 und 1914 waren über 60 Prozent der ausländischen Studierenden in Gießen aus Russland. Bei den Frauen waren es sogar 93 Prozent!
Die Zwischenkriegszeit
Es kamen kaum mehr russische Studierende nach Gießen. Frauen konnten nun auch in Russland studieren, neue Länder waren entstanden, Nationalismus der Zeitgeist der Stunde… 1919 lehnte die Ludoviciana das Studienansuchen von fünf und zwölf Russen (sieben davon als „Polen“ bezeichnet) ab. Offizielle Begründung: Überfüllung. Inoffizieller Grund: Es sollen nur deutschsprachige Ausländer aufgenommen werden. In den 1920er-Jahren sind nur mehr rund fünf Prozent der ausländischen Studierenden aus Russland.
Aspekte des russischen Hessens
Wohin fuhr der mondäne Moskauer oder Petersburger um 1900? Nach Deutschland. Auf Kur. Wiesbaden, Bad Homburg, Bad Soden, Bad Nauheim… Und er konnte unter sich bleiben, im Hotel de Russie übernachten, den Sonntagsgottesdienst in orthodoxen Kirchen besuchen und sich mit seinesgleichen unterhalten. Und informieren konnte man sich über das Badegeschehen in „Anna Karenina“.
Und noch etwas entwickelte sich ab zirka 1840 in den Badestädte Hessen: Casinos bzw. Spielbanken! Darüber kann man sich bei Dostoevskij und seinem „Der Spieler“ klug machen. Via Wiesbadener Badeurlaub lernte Fjodor das Roulette kennen… und wurde spielsüchtig. Was für ein toller Kurerfolg!
Bad Nauheim und Friedberg
1910 waren Zar Nikolaus II. und Zarin Alexandra Feodorowna - sie war eine Schwester des regierenden Großherzogs von Hessen - von Russland in Bad Nauheim und auf Burg Friedberg zu Besuch. Man reiste mit dem halben Hofstaat an: Den Sommer des Jahres 1910 verbrachte die russische Zarin Alexandra mit ihrer Familie und rund 140 Personen im Gefolge in Hessen, um sich in Bad Nauheim einer Bade- und Trinkkur zu unterziehen. Grund waren ein Herzleiden und die Nervosität ihrer Majestät. Auch der Zar und die beiden ältesten Töchter beteiligten sich an der Trinkkur. Quartier nahm die Zarenfamilie in der Friedberger Burg, schätzte aber in Bad Nauheim die angenehmen Erholungs- und Einkehrstätten wie Badehäuser, den Kurpark, Tennisplätze und die Natur am Johannisberg. Auch besuchten sie gerne den Gottesdienst in der 1908 zur Russischen Kirche umgewandelten Reinhardskirche. Es wird berichtet, dass der Zar nach einem solchen Besuch seinen Gehrock und Zylinder mit einem kurzen Jackett und Filzhut vertauschte, um sich seinen Bewachern zu entziehen und nur mit seinem Leibarzt und Adjutanten durch den Kurpark bis zum Johannisberg zu spazieren. Der Aufenthalt in Bad Nauheim war für Zarin Alexandra so erfolgreich, dass sie auf eine geplante Winterkur im Süden verzichten konnte. Eine Gedenktafel an der Westwand der Kirche erinnert an das Ereignis.
Die russisch-orthodoxe Gemeinde von Bad Nauheim, die vor dem Ersten Weltkrieg aufgrund der vielen russischen Kurgäste bedeutend war, nutzte seit 1907 die Reinhardskirche. Waren es 1869 noch 112 Personen aus Russland (15,3 % aller ausländischen Gäste), so betrug ihre Zahl 1897 bereits 1696 Personen, 1898 waren es 2027 Personen, 1899 schon 2401 Personen, 1900 genau 2239 Personen, 1901 schon 2267 Personen und 1902 waren es 2540 Personen. Im Jahre 1912 stellten die Russen mit 4533 Personen 45,05 % aller ausländischen Kurgäste. Der Bedarf für eine russisch-orthodoxe Kirche für die Kurgäste aus Russland in der Stadt war deshalb erheblich.
Aufgeregte russische Kurgäste in Bad Nauheim
[…]Aus Bad-Nauheim, wo sich etwa 6000 russische Kurgäste befinden, wird der „Kl. Presse“ berichtet, daß es dort am Samstag sehr lebhaft zugegangen ist, daß sich namentlich die Russen in sehr großer Aufregung befunden haben. Das gegenwärtig wenig günstige Wetter und der drohende Krieg werden, so befürchtet man, die Saison im ungünstigen Sinne beeinflussen. Man hofft aber, daß die glänzenden Nauheimer Kurerfolge doch die meisten veranlassen werden, dort zu bleiben. (Darmstädter Zeitung, 27. Juli 1914)
Aleksandr Blok 1915
„Außerdem fuhr ich eigentümlicherweise alle sechs Jahre nach Bad Nauheim (Hessen-Nassau), an das mich besondere Erinnerungen binden. In diesem Frühjahr (1915) hätte ich zum vierte Mal dorthin reisen sollen; doch in die persönliche und niedere Mystik meiner Reisen nach Bad Nauheim mischte sich die allgemeine und höhere Mystik des Krieges.“ Juni 1915. Es war die Liebe von 1897, von der Blok da plaudert. Daher die Erklärung auf Französisch: „C'est au cours d'une cure à Bad Nauheim avec sa mère, alors qu'il a dix-sept ans, qu'il tombe amoureux d'une jeune fille — Xenia M. Sadovskaja — pour la première fois. Cet amour platonique adolescent devient la source d'inspiration de plusieurs poèmes.“ Die Frau war übrigens doppelt so alt wie der adoleszente Aleksandr.
Bad Salzschlirf
Die russische Hochfinanz weilte gerne und oft in Bad Salzschlirf. Zur russischen Hochfinanz war auch der Finanzminister Zar Nikolaus II. zu zählen. Er verschwand dann allerdings vier Tage vor der russischen Mobilmachung aus Bad Salzschlirf ohne jegliches Aufsehen.
Bad Soden am Taunus
Bad Soden-Besucher Leo Tolstoi hat der Stadt durch die Erwähnung in "Anna Karenina" ein literarisches Denkmal gesetzt. Weitere Namen in der Prominenten-Liste der Komponisten sind Pjotr Tschaikovskij und Ivan Turgenev.
Wiesbaden
Illustre Kurgäste waren Großfürstin Katharina, die Schwester Zar Alexanders I., die 1814 in der Stadt weilte, oder der mit Maria Pawlowna, Tochter Zar Pauls I., verheiratete Carl Friedrich Herzog von Sachsen-Weimar. Auch im Vorfeld der Heirat Herzog Adolfs mit Großfürstin Elisabeth Michailovna herrschte reger diplomatischer Verkehr in der Stadt: Hofdamen der Zarin, Kammerherren und andere Beamte des Zarenhofes stiegen in Wiesbadener Hotels ab.
Der russische Kaiser Zar Nikolaus I. selbst stattete Herzog Adolf 1840 in seiner Residenz Biebrich einen Staatsbesuch ab. Und in den Jahren danach konnten die Wiesbadener Gazetten noch zweimal den russischen Herrscher begrüßen: Zar Nikolaus II. besichtigte 1896 mit seiner Familie die russische Kirche und traf 1903 mit Kaiser Wilhelm II. und dem Großherzog von Hessen zusammen.
Der Rückweg führt am Europaviertel vorbei, in das man aber unbedingt hineinrollen soll. In der Mitter gibt es einen wirklich sehenswerten Skulpturenweg!
Das Europaviertel: Sandstein, Bronze, Stahl und Gold
Jenseits des Gießener Ringes und mitten in einem Waldgebiet, da lag einst die Steubenkaserne mit rund 55 Hektar. Also, so zwischen den 1940er-Jahren und 1993. Und die Gegend war nicht ganz ungefährlich. Hier waren ein Sondermunitionslager und die mit Patriot-Raketen bestückte Stellung Hohe Warte. Kaum waren die Brüder aus dem Wilden Westen weg, musste saniert werden. Vor allem die US-Mülldeponie machte Probleme. Die Hangars und Baracken wurden weggerissen, das Herzstück in das Gewerbegebiet „Europaviertel Gießen“ um- und neugebaut – Kommunikations-, Biologie- und Medizintechnologie – ein Teil in das Naturschutzgebiet „Hohe Warte“ umgeformt, eine kleine Herde Przewalski-Pferde als „Rasenmäher“ angesiedelt und ein mächtiger Solarpark aufgebaut. Und auch die Kunst sollte nicht zu kurz kommen. Ein sehenswerter Kulturpark lockt vor die Tore der Stadt! Die kleine Kunstallee zirka in der Mitte des Viertels wird von zwei männlichen Statuen begrenzt, die zusammen eine Einheit bilden und ganz nüchtern „Maßstab, Teil 1 und 2“ heißen. Der podestale Goldmann blickt abfällig auf den armen erdigen Eisenmann herab… und dazwischen tobt das Leben.
Kunstwerk 1 - Ein Schild informiert
Stefan Pietryga / „Maßstab“ zweiteilig, 1.Teil / Eisenguss, 2004 // Der 1954 in Ibbenbüren, Westfalen, geborene Künstler schuf eine zweigeteilte Arbeit, deren erster Teil, eine Einzelfigur aus Eisenguss, trivial am Straßenrand steht. Maßstab sind im übertragenen Sinne der Alltag, das lch, das Unartifizielle. Die Idee der Figur unter Menschen, ihr Beiläufiges, stellt diese Plastik aus Eisen in einen demokratischen Gesellschaftszusammenhang. Sie schaut über die Parkanlage mit Allee in ein Waldgelände‚ das sich über den Straßenzug der Kerkrader Straße hinaus erstreckt. Hier findet sie ihr Pendant. Ein Stahltisch von fünf Metern Höhe trägt einen vergoldeten Aluguss derselben Figur. Über eine weite Distanz schaut diese auf den „Bruder Jedermann“.
Das Europaviertel: Sandstein, Bronze, Stahl und Gold
Jenseits des Gießener Ringes und mitten in einem Waldgebiet, da lag einst die Steubenkaserne mit rund 55 Hektar. Also, so zwischen den 1940er-Jahren und 1993. Und die Gegend war nicht ganz ungefährlich. Hier waren ein Sondermunitionslager und die mit Patriot-Raketen bestückte Stellung Hohe Warte. Kaum waren die Brüder aus dem Wilden Westen weg, musste saniert werden. Vor allem die US-Mülldeponie machte Probleme. Die Hangars und Baracken wurden weggerissen, das Herzstück in das Gewerbegebiet „Europaviertel Gießen“ um- und neugebaut – Kommunikations-, Biologie- und Medizintechnologie – ein Teil in das Naturschutzgebiet „Hohe Warte“ umgeformt, eine kleine Herde Przewalski-Pferde als „Rasenmäher“ angesiedelt und ein mächtiger Solarpark aufgebaut. Und auch die Kunst sollte nicht zu kurz kommen. Ein sehenswerter Kulturpark lockt vor die Tore der Stadt! Die kleine Kunstallee zirka in der Mitte des Viertels wird von zwei männlichen Statuen begrenzt, die zusammen eine Einheit bilden und ganz nüchtern „Maßstab, Teil 1 und 2“ heißen. Der podestale Goldmann blickt abfällig auf den armen erdigen Eisenmann herab… und dazwischen tobt das Leben.
Kunstwerk 1 - Ein Schild informiert
Stefan Pietryga / „Maßstab“ zweiteilig, 1.Teil / Eisenguss, 2004 // Der 1954 in Ibbenbüren, Westfalen, geborene Künstler schuf eine zweigeteilte Arbeit, deren erster Teil, eine Einzelfigur aus Eisenguss, trivial am Straßenrand steht. Maßstab sind im übertragenen Sinne der Alltag, das lch, das Unartifizielle. Die Idee der Figur unter Menschen, ihr Beiläufiges, stellt diese Plastik aus Eisen in einen demokratischen Gesellschaftszusammenhang. Sie schaut über die Parkanlage mit Allee in ein Waldgelände‚ das sich über den Straßenzug der Kerkrader Straße hinaus erstreckt. Hier findet sie ihr Pendant. Ein Stahltisch von fünf Metern Höhe trägt einen vergoldeten Aluguss derselben Figur. Über eine weite Distanz schaut diese auf den „Bruder Jedermann“.
Kunstwerk 2 - Ein Schild informiert
Olaf Beck / Leug / Stahl, 2004 // Der 1964 in Mühlhausen, Thüringen, geborene Künstler hat seine Stahlfigur auf das Gebäude des TIG bezogen. Ihre tonnenschweren metallenen Schwünge wurden aus einer massiven Stahlplatte geschnitten und anschließend gebogen. Die Geometrie bietet Olaf Beck die Grundlage für eine geordnete, methodische Arbeitsweise. Er kommentiert durch die Schnitte die Schneisen, die die ehemaligen Kasernenbauten und die Straßen in den Gießener Wald gefressen haben. Gleichzeitig schwingt in der Arbeit eine dialogische Grundidee. „Leug bedeutet, das Glück zu biegen oder im Biegen liegt das Glück“ (Beck). Der Künstler lebt in Allendorf-Nordeck.
Olaf Beck / Leug / Stahl, 2004 // Der 1964 in Mühlhausen, Thüringen, geborene Künstler hat seine Stahlfigur auf das Gebäude des TIG bezogen. Ihre tonnenschweren metallenen Schwünge wurden aus einer massiven Stahlplatte geschnitten und anschließend gebogen. Die Geometrie bietet Olaf Beck die Grundlage für eine geordnete, methodische Arbeitsweise. Er kommentiert durch die Schnitte die Schneisen, die die ehemaligen Kasernenbauten und die Straßen in den Gießener Wald gefressen haben. Gleichzeitig schwingt in der Arbeit eine dialogische Grundidee. „Leug bedeutet, das Glück zu biegen oder im Biegen liegt das Glück“ (Beck). Der Künstler lebt in Allendorf-Nordeck.
Kunstwerk 3 - Ein Schild informiert
Thomas Duttenhoefer / „Figurenpaar“ / Bronze, 2004 // Der 1950 in Speyer geborene Künstler gestaltete in den überlebensgroßen Bronzefiguren Ausdruck von Partnerschaft, Gespräch und Kommunikation. Ihre Schlankheit lässt sie wie zwei Menschensegel durch das Schicksalhafte des Lebendigen schreiten. Das Paar, von denen der Mann etwas größer als die Frau ist, scheint selbstvergessen. Keine realistischen Details lenken von der großen klangvollen Einheit, die zwischen den beiden Figuren schwingt, ab. Der Künstler hat eine Professur an der Hochschule für Wirtschaft und Gestaltung in Mannheim. Duttenhoefer wohnt in Darmstadt.
Thomas Duttenhoefer / „Figurenpaar“ / Bronze, 2004 // Der 1950 in Speyer geborene Künstler gestaltete in den überlebensgroßen Bronzefiguren Ausdruck von Partnerschaft, Gespräch und Kommunikation. Ihre Schlankheit lässt sie wie zwei Menschensegel durch das Schicksalhafte des Lebendigen schreiten. Das Paar, von denen der Mann etwas größer als die Frau ist, scheint selbstvergessen. Keine realistischen Details lenken von der großen klangvollen Einheit, die zwischen den beiden Figuren schwingt, ab. Der Künstler hat eine Professur an der Hochschule für Wirtschaft und Gestaltung in Mannheim. Duttenhoefer wohnt in Darmstadt.
Kunstwerk 4 - Ein Schild informiert
Roland Meyer-Petzold / „Einheit in der Vielfalt“ / Sandstein, 2004 // Der 1951 in Frankfurt am Main geborene Künstler hat aus einem 15 Tonnen schweren Sandstein durch Herausschlagen von Kanten und Schichtungen aus einer Unartikulierten Masse ein artikuliertes Volumen geschaffen. Das Abtragen von außen nach innen bedarf klaren Vorstellungen, damit das Ungelenkte in eine skulpturale Gestalt vorangetrieben wird. Es durchdringen sich unterschiedliche Volumina zu einer liegenden, vielfach gestuften Skulptur, in der Körper sich wecken, weiterreichen, ineinander greifen. Die zunächst erdrückende Präsenz des Blockes ist leicht geworden. Der Künstler lehrt Bildhauerei und Didaktik der Kunsterziehung am Institut für Kunstpädagogik an der Justus-Liebig-Universität. Er lebt in Eltville.
Roland Meyer-Petzold / „Einheit in der Vielfalt“ / Sandstein, 2004 // Der 1951 in Frankfurt am Main geborene Künstler hat aus einem 15 Tonnen schweren Sandstein durch Herausschlagen von Kanten und Schichtungen aus einer Unartikulierten Masse ein artikuliertes Volumen geschaffen. Das Abtragen von außen nach innen bedarf klaren Vorstellungen, damit das Ungelenkte in eine skulpturale Gestalt vorangetrieben wird. Es durchdringen sich unterschiedliche Volumina zu einer liegenden, vielfach gestuften Skulptur, in der Körper sich wecken, weiterreichen, ineinander greifen. Die zunächst erdrückende Präsenz des Blockes ist leicht geworden. Der Künstler lehrt Bildhauerei und Didaktik der Kunsterziehung am Institut für Kunstpädagogik an der Justus-Liebig-Universität. Er lebt in Eltville.
Kunstwerk 5 - Das Kunstwerk steht etwas abseits. Ein Schild informiert
Detlef Kraft / „Tisch, Blumenstrauß und Melone“ / Basalt und Bronze, 1991 // Der 1950 in Berlin geborene Künstler, dessen Werk durch zahlreiche Lehraufträge, Preise, Einzelausstellungen und öffentliche Aufträge gewürdigt wurde, schuf hier eine „Sitzgruppe“ in klaren großen Ausdrucksformen. Zwei Basaltbänke um einen Tisch, darauf ein Blumenstrauß und eine aufgeschnittene Melone laden zum Sitzen und zum Gespräch ein. Der Strauß in der Vase und die Melone schaffen in ihrer Kleinteiligkeit gegen die teils ungestalten Blöcke Aufmerksamkeit, eine kommunikative Mitte. Krafts Aussagen sind schnörkellos und exakt, gewachsen aus sorgfältiger Beobachtung, asketischer Reduktion, disziplinierter Schönheit und ästhetischer Strenge. Der Künstler lebt in Darmstadt.
Detlef Kraft / „Tisch, Blumenstrauß und Melone“ / Basalt und Bronze, 1991 // Der 1950 in Berlin geborene Künstler, dessen Werk durch zahlreiche Lehraufträge, Preise, Einzelausstellungen und öffentliche Aufträge gewürdigt wurde, schuf hier eine „Sitzgruppe“ in klaren großen Ausdrucksformen. Zwei Basaltbänke um einen Tisch, darauf ein Blumenstrauß und eine aufgeschnittene Melone laden zum Sitzen und zum Gespräch ein. Der Strauß in der Vase und die Melone schaffen in ihrer Kleinteiligkeit gegen die teils ungestalten Blöcke Aufmerksamkeit, eine kommunikative Mitte. Krafts Aussagen sind schnörkellos und exakt, gewachsen aus sorgfältiger Beobachtung, asketischer Reduktion, disziplinierter Schönheit und ästhetischer Strenge. Der Künstler lebt in Darmstadt.
Kunstwerk 6 - Ein Schild informiert
Stefan Pietryga / „Maßstab“ zweiteilig, 2. TeiL / Aluguss vergoldet / Stahl / Pflanzung Säuleneichen, 2004 // Die vergoldete Figur, die von der gleichen Holzarbeit in Aluminium gegossen wurde, wirkt wie ein Stadtteilzeichen in einem Hain. Sie schaut von ihrem fünf Meter hohen Stahltisch über eine lange Sichtachse auf den Mann am Straßenrand. Der „Jedermann“ ist nun sieghaft herausgehoben. Wie eine erweiterte Möglichkeit durch Kreativität und Zielgerichtetheit „ein[en] goldenen Weg“ zu finden, bietet die Skulptur ein humanistisches Zeichen dafür, dass jeder Mensch in-seiner Würde, in seinem Menschsein den Schutz der Gemeinschaft verdient. Pietryga verspannt mit seiner Sichtachse die Menschen und die Kunstwerke und will Weitsichtigkeit im wahrsten Sinne des Wortes. Der vielfach ausgezeichnete Künstler lebt in Potsdam und Essen.
Stefan Pietryga / „Maßstab“ zweiteilig, 2. TeiL / Aluguss vergoldet / Stahl / Pflanzung Säuleneichen, 2004 // Die vergoldete Figur, die von der gleichen Holzarbeit in Aluminium gegossen wurde, wirkt wie ein Stadtteilzeichen in einem Hain. Sie schaut von ihrem fünf Meter hohen Stahltisch über eine lange Sichtachse auf den Mann am Straßenrand. Der „Jedermann“ ist nun sieghaft herausgehoben. Wie eine erweiterte Möglichkeit durch Kreativität und Zielgerichtetheit „ein[en] goldenen Weg“ zu finden, bietet die Skulptur ein humanistisches Zeichen dafür, dass jeder Mensch in-seiner Würde, in seinem Menschsein den Schutz der Gemeinschaft verdient. Pietryga verspannt mit seiner Sichtachse die Menschen und die Kunstwerke und will Weitsichtigkeit im wahrsten Sinne des Wortes. Der vielfach ausgezeichnete Künstler lebt in Potsdam und Essen.
Kunstwerk 7
Dieses Kunstwerk ohne Schild scheint nicht zur ursprünglichen Serie von sechs Werken zu gehören.
Dieses Kunstwerk ohne Schild scheint nicht zur ursprünglichen Serie von sechs Werken zu gehören.
So muss Radfahren sein - keine große Tour, aber eine mit Abwechslung, mit Natur, Kunst und gaaanz vieeel Emoción!